Kulturkampf statt Krisenbekämpfung

von Natascha Strobl

Im zweiten Jahr der Pandemie ist fast alles wie am Anfang. Österreich befindet sich erneut in einem Lockdown.

Eine Krise ist eine Krise ist eine Krise. Krisenbekämpfung kann am Anspruch der Unfehlbarkeit nur scheitern. Gerade dann, wenn es sich um eine Krise handelt, bei der wir der Wissenschaft in Echtzeit beim Gewinnen neuer Erkenntnisse zuschauen können. Pandemiebekämpfung ist vor allem die Bereitschaft zur raschen Adaption. Das geht aber nur, wenn man weiß, welches Ziel man verfolgt. Will man die Intensivstationen voll werden lassen und nur ihr Zusammenbrechen verhindern, oder will man tatsächlich die Ansteckungsrate niedrig halten? Will man auch Kinder schützen, oder übernimmt man die Verantwortung für hohe Fallzahlen unter ihnen, weil man überzeugt davon ist, dass keines davon schwer betroffen sein wird? So hätten Debatten und entsprechende Vorbereitungen der österreichischen Regierung aussehen können. Alle Expertinnen und Experten des Landes und darüber hinaus standen zur Verfügung. Stattdessen hat man nichts gemacht, und wurde im Herbst erneut überrascht. Das ist für die Pandemiebekämpfung fatal. Es ist aber nach zwei Jahren Pandemie auch eine Frotzelei. Nicht nur hat die Regierung es verabsäumt, sich vorzubereiten, sie hat die Pandemie im Sommer für beendet erklärt. Altbundeskanzler Sebastian Kurz ließ sogar plakatieren, dass die Krise »gemeistert« sei. Chef-Prätorianerin Elisabeth Köstinger ließ dem Bundesland Wien im Sommer ausrichten, dass dessen Maßnahmen zu harsch seien. 

Dieses Agieren ist das Äquivalent zu einem halbstarken Jugendlichen, der sich über einen Kollegen mokiert, weil dieser auf der Heimfahrt von der Dorfdisco nicht auf den Sicherheitsgurt verzichten will, während das Auto mit 140 km/h über die Landstraße saust. In der Dunkelheit. Und der Fahrer ist angesoffen. Der Gurt nutzt im Fall des Falles vielleicht nichts. Aber er ist die beste Chance. 

»MANCHMAL VERGISST MAN, DASS DIE MÄCHTIGSTE PERSON IN DIESER PANDEMIE EIN GRÜNEN-POLITIKER IST.«

Es ist genau dieses Verhalten, das nicht nur sinnvolle Maßnahmen verhindert, sondern die Debatte ein ums andere Mal auf Anfang zurückwirft. Das fängt bei einfachen Dingen wie den Gesichtsschilden an und geht bis zu komplexeren Informationen über Drittstiche als Teil der Vollimmunisierung oder Impfdurchbrüche. Diese Dinge kann man erklären, allerdings nicht, wenn zuvor vermittelt wurde, dass die Pandemie vorbei sei. Der kommunikative Grundfehler bestand darin, eine Krise mit absoluten Aussagen meistern zu wollen, anstatt schnelle Veränderungen sowie neue Informationen zu antizipieren und sich darauf vorzubereiten. Das Resultat ist, dass Krisenbearbeitung zum guten Teil zur Privatsache geworden ist. Wer sich viel und tiefgehend informieren kann, weiß Bescheid. Die anderen bleiben über. 

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