Zur Dialektik eines Klassikers – Teil 3

von Wolfgang Häusler

Illustration: Christoph Kleinstück

Friedrich Engels als Mentor und Motor der österreichischen Sozialdemokratie, oder: Geschichte eines Lernprozesses zwischen Reform und Revolution


2749 wörter
~11 minuten

Am 28. November jährt sich der Geburtstag von Friedrich Engels zum 200. Mal. Dies ist der dritte und letzte Teil einer Serie, in der Wolfgang Häusler, emeritierter Universitätsprofessor für Österreichische Geschichte, an den Mitbegründer des Marxismus erinnert.

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Mich und den Metternich hält’s noch aus‹, sagte der selige Kaiser Franz … Die buntscheckige, zusammengeerbte und zusammengestohlene österreichische Monarchie, dieser organisierte Wirrwarr von zehn Sprachen und Nationen, dies planlose Kompositum der widersprechendsten Sitten und Gesetze, fängt endlich an, auseinanderzufallen … In keinem Lande haben sich Feudalismus, Patriarchalismus und demütige Spießbürgerei unter dem Schutze des väterlichen Haselstocks unbefleckter und harmonischer erhalten als in Östreich … So war das Haus Österreich von Anfang an der Repräsentant der Barbarei, der Stabilität in Europa. Seine Macht beruhte auf der Narrheit des hinter den unwegsamen Bergen verschanzten Patriarchalismus, auf der unnahbaren Brutalität der Barbarei. Ein Dutzend Nationen, deren Sitten, Charaktere und Institutionen die grellsten Widersprüche bildeten, hielten zusammen kraft ihres gemeinsamen Widerwillens gegen die Zivilisation … ›Mich und den Metternich hält’s noch aus.‹ Die französische Revolution, Napoleon und die Julistürme hat’s ausgehalten. Aber den Dampf hält’s nicht aus. Der Dampf hat sich durch die Alpen und den Böhmerwald Bahn gebrochen, der Dampf hat der Donau ihre Rolle eskamotiert, der Dampf hat die österreichische Barbarei zu Fetzen gerissen und damit dem Hause Habsburg den Boden unter den Füßen weggezogen … Wir sehen dem Sieg der Bourgeois über das östreichische Kaisertum mit wahrem Vergnügen entgegen. Wir wünschen nur, daß es recht gemeine, recht schmutzige, recht jüdische Bourgeois sein mögen, die dies altehrwürdige Reich ankaufen. Solch eine widerliche, stockprügelnde, väterliche, lausige Regierung verdient, einem recht lausigen, weichselzöpfigen, stinkenden Gegner zu unterliegen. Herr Metternich kann sich darauf verlassen, daß wir später diesen Gegner ebenso unbarmherzig lausen werden, wie er von ihm demnächst gelaust wird.« Engels’ Wutausbruch gegen die Habsburgermonarchie als Hort der Reaktion (Metternich gelangte ja als Verfolger des »Gespenstes des Kommunismus« in den Auftakt des Manifests) erschien im Emigrantenorgan Deutsche-Brüsseler-Zeitung vom 27. Jänner 1848 – das Manifest ging eben zum Druck. Österreich-Kritik war im Vormärz zu einer literarischen Gattung geworden, die in Deutschland weite Verbreitung fand. Engels trieb diese Schelte unbestreitbar auf die Spitze.

Vor dieser Philippika gegen die österreichische Barbarei hatte er mit eigenen literarischen Jugendsünden abgerechnet, vor allem der Begeisterung über Karl Beck und seine Lieder vom armen Mann. Beck, jüdischer Abstammung, aus dem ungarischen Baja, Zensurflüchtling in Leipzig, und der weitgereiste Deutschböhme Alfred Meißner waren die ersten Poeten deutscher Sprache, welche die sozialen Fragen mit großem Publikumserfolg zum Hauptthema ihrer Lyrik machten. Der verhinderte Dichter Engels äußerte im Oktober 1839 zu seinem Freund Friedrich Graeber enthusiastisch: »Wohl uns Deutschen, daß Karl Beck geboren wurde«, wagte gar Vergleiche mit Goethe und Schiller. Zu Jahresende war die Stimmung gekippt – im Telegraph für Deutschland wurde Beck lächerlich gemacht: »Mit schwülstigen Worten, um den Mund einen weltschmerzlichen, modernen Zug«, so sei Beck in die deusche Literatur eingetreten. Auch Meißners pathetische Metaphern fanden keine Gnade, wie die von einer Englandreise berichtenden Zeilen: »Andre Kinder, eine blasse Brut, / Sah ich dort, wo hohe Essen dampften / Und die eh’rnen Räder, in der Glut, / Einen Tanz in schwerem Takte stampften.« Die gesamte Gattung der sozialen Lyrik verfiel der Verurteilung des Wahren Sozialismus, von dem sich das Kommunistische Manifest als »liebesschwüler Gemütstau«, wohl Engels’ Formulierung, abgrenzte.

Im Revolutionsjahr 1848/49 engagierte sich Engels für die Sache der Ungarn und der Polen, ansonsten wurden die slawischen Völker pauschal als »borniert« und »konterrevolutionär« verurteilt. Das Vorurteil verfestigte sich im Missverstehen des Prager Pfingstaufstands. Die verworrene soziale und nationale Lage ermöglichte den ersten großen Erfolg der Gegenrevolution mit der Unterwerfung Prags durch Feldmarschall Fürst Windischgrätz. Zwar erkannte die Neue Rheinische Zeitung anfänglich die Schuld der Deutschen an der militärischen Unterdrückung, die letztlich auch ihnen drohen würde, doch verschob sich die Schuldzuweisung zum »Panslawismus«, in völliger Unkenntnis des Austroslawismus der meisten tschechischen Politiker. Diese Fehlurteile waren eingebettet in »Russenhaß« als revolutionäres Potential, das sich in einem Krieg entladen müsse. Die Tschechen wurden, wider besseres Wissen, zu den »geschichtslosen Völkern« gerechnet, in Übernahme des unreflektierten Standpunkts Hegels. Selbst die Erhebung der Hussiten, für die sich deutschsprachige böhmische Dichter wie Meißner oder Moritz Hartmann im Vormärz begeistert hatten, konnte daran nichts ändern. František Palacký, der Schöpfer eines nationaltschechischen Geschichtsbewusstseins, verfiel dem harschen Urteil: »Der Hauptkämpe der tschechischen Nationalität, Professor Palacký, ist selbst ein übergeschnappter deutscher Gelehrter, der bis auf den heutigen Tag die tschechische Sprache nicht korrekt und ohne fremden Akzent sprechen kann.« Die spätere Verstörung des Verhältnisses zwischen Marx und Engels einerseits, Bakunin andererseits wurzelte nicht zuletzt in dessen Teilnahme am Prager Slawenkongress, welcher dem Aufstand voranging.

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