Vor einem Jahr saß ich am Editorial der allerersten Ausgabe dieser Zeitschrift. Von den Zielen, die wir mit dem TAGEBUCH verfolgen wollten, schrieb ich damals, und davon, wie wir sie zu erreichen glaubten. Manches sind wir in den vergangenen zwölf Monaten schuldig geblieben, in vielen Dingen hoffen wir, uns entwickelt zu haben, besser geworden zu sein. Vor allem aber sind wir glücklich, dass es das TAGEBUCH nach wie vor gibt. Es ist beileibe keine Ãœbertreibung, dass sich dieser Umstand zu einem guten Teil Ihnen, unseren Leserinnen und Lesern, verdankt. Ohne Ihre Abonnements, ohne Ihre Spenden hätten wir vor dem Hintergrund der Corona-Krise spätestens die Juni-Nummer nicht mehr produzieren können. Es ist glücklicherweise anders gekommen. 

In einer Sache freilich sind wir uns heute so sicher wie im Herbst 2019: Dieses Land, diese Zeit, diese Verhältnisse erfordern eine Zeitschrift wie die unsere. 

Drei Beispiele: Noch immer befindet sich kein einziger Geflüchteter, keine einzige Geflüchtete aus Moria in Österreich. Die Bundesregierung aus ÖVP und Grünen verwehrt sich nicht nur dem Naheliegenden, die Menschen aus dem Lager unverzüglich zu evakuieren und aufzunehmen, sie torpediert jede Lösung für diese humanitäre Katastrophe. Zeitgleich werden an die 500.000 Arbeitslose mit läppischen Einmalzahlungen abgespeist, während die Abschaffung der »Hacklerregelung«, also die De-facto-Anhebung des Pensionsantrittsalters koalitionsintern offenbar abgemacht ist. Die großzügigen Staatshilfen für Konzerne schließlich kennen dagegen kaum Bedingungen – öffentliche Mittel für profitorientierte Unternehmen erlauben Dividendenausschüttungen für Aktionäre ebenso wie Personalabbau und Standortschließungen.

Letzteres lässt sich dieser Tage in Steyr in Anschau nehmen. Der deutsche Lkw-Hersteller MAN beabsichtigt bekanntermaßen, sein Werk in der oberösterreichischen Industriestadt stillzulegen. Moritz Ablinger (Text) und Christopher Glanzl (Fotografie) sind in den vergangenen Wochen gleich mehrfach nach Steyr gereist – ihre Reportage lesen Sie auf Seite 21. In unserer Titelgeschichte analysiert derweil Veronika Bohrn Mena die Hintergründe der tiefen Krise des europäischen Arbeitsmarkts .

Geht ein Jahrgang zu Ende und nimmt ein neuer Anlauf, stehen oft Veränderungen an. Das gestalterische Konzept dieser Zeitschrift bringt es mit sich, dass der Illustrationsauftrag jedes Jahr neu vergeben wird. Mit dieser Ausgabe müssen wir uns daher von Christoph Kleinstück verabschieden. Vom allerersten TAGEBUCH an hat der Hamburger jede einzelne Illustration eines jeden Hefts in den vergangenen zwölf Monaten angefertigt – und er hat das in einer Professionalität und Präzision getan, die uns immer wieder staunend zurückgelassen hat. Dafür möchten wir uns bedanken!

Kleinstücks Nachfolge tritt Lea Berndorfer an. Die ebenfalls aus Hamburg stammende Illustratorin hat in der Vergangenheit unter anderem für die Zeit und die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet. Beginnend mit der Nummer 12/1, die Anfang Dezember erscheint, wird sie unseren zweiten Jahrgang illustrieren.

Neuigkeiten gibt es auch aus Redaktion und Beirat. Letzterer wird zu unserer Freude um die Politikwissenschafterin und Rechtsextremismusexpertin Natascha Strobl erweitert. Als ständige freie Mitarbeiterin verstärkt indes Jana Volkmann die Redaktion. Als Journalistin schrieb die 37-Jährige unter anderem für den Freitag, für das TAGEBUCH ist sie bisher als Literatur-Rezensentin tätig gewesen. Ihr zweiter Roman Auwald ist eben erst im Verbrecher Verlag erschienen – Stefan Schmitzer rezensiert ihn auf Seite 52. Volkmann selbst hat unterdessen die Schriftstellerin Marlene Streeruwitz zum ausführlichen Gespräch getroffen. 

Wenn wir uns zum Ende dieses ersten Jahrgangs etwas wünschen dürften, es wäre, dass Sie uns gewogen bleiben; dass Sie das TAGEBUCH weiterhin lesen, empfehlen, und ja, abonnieren. »Wir werden es Ihnen danken«, hieß es schon im Herbst 2019 an dieser Stelle, »mit einer Zeitschrift für Auseinandersetzung, zehnmal im Jahr, links und unabhängig«.  

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