Verstautes Leben

von Mareike Boysen

Fotos: Nina Strasser

Wohnungslose Frauen erhalten im Wiener Obdach Favorita einen Schlafplatz und einen Spind für ihren persönlichen Besitz. Sechs Frauen berichten von ihrem Verhältnis zum Vorhängeschloss in der Corona-Pandemie.


2389 wörter
~10 minuten

An den Esstischen im Aufenthaltsraum fordert die Pandemie ihre Präsenz in Form von Klebeband-Kreuzen ein. Einige Frauen sitzen sich schräg gegenüber, eine von ihnen steht allein am Fenster aus Milchglas, eine andere am Kaffeeautomaten. Wer nicht trinkt oder isst, trägt eine FFP2-Maske. Marta K., bekleidet mit einem grauen Jogginganzug, springt auf. »Mit mir wollen Sie nicht reden?«, ruft sie auf Slowakisch. »Dann entgeht Ihnen etwas!« Die Corona-bedingte neue Normalität im Obdach Favorita an der Laxenburger Straße in Wien ist eine leichtere. Im Mai des vergangenen Jahres sind die Winter-Notquartiere wegen der Ausgangsbeschränkungen über den Sommer verlängert und auf Ganztagsbetrieb umgestellt worden. Dass wohnungslose Personen, die einen der Schlafplätze nutzen, diesen seitdem nicht mehr täglich um 8.00 Uhr räumen müssen, vermindert den Stress. Bis vor einer halben Stunde haben Mitarbeiterinnen Eintopf ausgegeben, am Abend soll es anlässlich des Weltfrauentags Pizza geben.

12.590 Menschen hat die Wiener Wohnungslosenhilfe im Jahr 2019 betreut, rund ein Drittel davon waren Frauen. Im ersten Jahr der Pandemie ist die Anzahl der Anträge leicht zurückgegangen, woraus sich vorerst lediglich ableiten lässt, dass weniger um Hilfe angefragt worden ist. Aufgrund von Miet- und Energiekostenstundungen ist ein versetzter wirtschaftlicher Corona-Effekt für viele zu erwarten – auch und insbesondere für Frauen. Die Klientinnen im Obdach Favorita haben zur Feier ihres Geschlechts am Vormittag ein Sackerl voll Kosmetika und eine einzelne Rose überreicht bekommen. Eine Vase besitzt hier niemand. Auf den folgenden Seiten erzählen sechs Frauen anhand des Inhalts ihrer Schließfächer, wie es ihnen in den vergangenen Monaten ergangen ist.

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