»Alles wegschmeißen«

von Jana Volkmann

Fotos: Christopher Glanzl

Ein Gespräch mit der Schriftstellerin Marlene Streeruwitz über den Rückbau in der Frauenpolitik, die Parallelen zwischen Donald Trump und Jörg Haider und den Einfluss des Gegenwärtigen auf ihre Poetik.


3388 wörter
~14 minuten

Jana Volkmann | Ihr neuer Roman So ist die Welt geworden ist in der Gegenwart verankert. Lässt sich damit stark und unmittelbar politisch intervenieren? Fehlt da nicht die Reflexionsebene, wie bei der berühmten Eule der Minerva, die erst in der Dämmerung ihren Flug beginnt?

Marlene Streeruwitz | Nein. Das ist meine Grundform von Denken. Der Conatus, die Lebensnot, muss ununterbrochen zu dieser Reflexion führen. Was heißt das, wenn ein Gesetz gemacht wird, wie schaut das aus, wie muss das gelebt werden? Das beruht auch darauf, dass ich Geschlecht ernst nehme als politischen Faktor. Und damit als Frau, Mitglied einer Minderheit, jeden Augenblick reflektieren muss, was mit mir passiert. Was das mit der Habitustheorie verbindet, ist, dass all das auf mich einwirkt, und dass sich dadurch mein Schreiben verändert. Wenn ich das nicht reflektiere, bin ich ein Verstärkungsinstrument der herrschenden Umstände. Dazu hatte ich noch nie Lust. Ich glaube, dass das Schreiben in diesem Abbau der demokratischen Möglichkeiten ein anderes ist als in einer Situation, in der ich das nie gekannt habe. Es sind Verluste zu verzeichnen. Und ich habe nun einmal diese Lebensübersicht, daher sehe ich mich dazu verpflichtet, diese Verluste zu verzeichnen. 

JV | Für die jüngere, in Österreich sozialisierte Generation ist an der jetzigen Situation vielleicht auch neu, dass alle auf einmal Zeitzeugen sind. 

MS | Zeitzeugen, der Begriff tut so, als könnte da einer draußen stehen und zuschauen. Aber in diesem Fall stimmt’s, gerade in der Corona-Krise, weil wir ja wirklich nur mehr zusehen können. Insofern ist Zeugenschaft eine passende Beschreibung. Was ich schwierig finde, ist, dass ich durch diese rechtsrechte Regierung überhaupt nicht mehr vertreten bin, sodass ich zur Zeugenschaft verurteilt bin und in keiner Weise mehr teilhabe. Diese scharfe Ausgrenzung ganzer Gruppen passiert gerade überall. Ich habe als junge Frau ein paar winzige revolutionäre Augenblicke in Österreich erlebt: die Frauenbewegung vor der Familienrechtsänderung 1975 etwa. Da sind alle Frauen in einem Raum zusammengekommen, weil ganz klar war, dass es so nicht mehr geht mit dem Hausvater. Ich habe mit zwanzig geheiratet und musste fragen, ob ich einen Pass kriegen kann. Das war immer lustig, davon zu erzählen, kann aber auch ganz anders ausschauen. Ein Rechtssubjekt zu werden, das war der Weg – das Wahlrecht endgültig zu erobern, nicht mehr vom Mann abhängig zu sein. Das heißt, ich habe dazugewonnen, und dachte auch, dass das stetig so weitergeht. 

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