Ein Teil der Vision

von Trautl Brandstaller

Elisabeth Schilder war eine »Sozialistin der alten Schule«. Gabriella Hauch und Karl Fallend versuchen in einem akribisch recherchierten Band, die langjährige Weggefährtin von Ex-Justizminister Christian Broda dem Vergessen zu entreißen.

Elisabeth Schilder zählt zu jenen politischen Persönlichkeiten, die die sozialistischen Ideen der Ersten Republik, die des Roten Wien, in die Zweite Republik hinüberretteten. Und wie vielen ihrer Generation gelang es ihr erst in den 197Oer Jahren, Teile der damaligen Utopien in politische Realität umzusetzen. 

Geboren 1904 in eine bürgerlich-jüdischen Familie, setzt Schilders politische Sozialisation früh ein. Im Alter von 15 Jahren tritt sie den Sozialistischen Mittelschülern bei – hier sammelten sich Linke aller Schattierungen. Spiritus Rector der Gruppierung war der Sozialforscher Paul Lazarsfeld, mit dem sie bis zu dessen Tod gemeinsame Überzeugungen und Pläne verbanden. Schilder mischt sich von Anfang an in die Kontroversen und Flügelkämpfe zwischen radikalen Sozialdemokraten, Reformern, Trotzkisten und Kommunisten ein, sie versucht zwischen den Fraktionen zu vermitteln; erst 1920 bekennt sie sich in der neuen Republik offen zur Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP). 

Geprägt war die Sozialdemokratie jener Tage vom Austromarxismus, dessen verschiedene Facetten auch die Künstlerinnen und Wissenschafter der 1920er Jahre faszinierten. Es herrschte ein geistig-kulturelles Klima, das noch den Geist der Jahrhundertwende atmete, als Wien ein »Labor der Zukunft« zu werden versprach. Zum Beweis für die enge Verbindung zwischen Partei, Künstlern und Intellektuellen studiere man die Liste derer, die im Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlkampf 1927 die Sozialdemokratie unterstützten: Sie reicht von Sigmund Freud und Alfred Adler bis zu Robert Musil und Franz Werfel, von Anton Webern und Egon Wellesz bis zu Alma Mahler und Anton Hanak, von Alfred Polgar bis zu Hans Kelsen.

Die junge Elisabeth Schilder beginnt 1922 Nationalökonomie und Rechtswissenschaften zu studieren, an der Wiener Universität erlebt sie den wachsenden Antisemitismus und die vorherrschende Frauenfeindlichkeit. In Bezirksorganisationen und Jugendgruppen hält sie Vorträge, merkt aber bald, dass Theorie nicht ausreicht. Sie besucht daher neben dem Studium die Akademie für soziale Verwaltung der Gemeinde Wien und erwirbt ein Erzieherinnen- und Fürsorgediplom. Eine Anstellung bei der Gemeinde Wien wird ihr verweigert. Frau, Jüdin, Intellektuelle – das war bei aller fortschrittlichen Theorie doch zu viel. Daraufhin hängt sie noch ein Studium der Staatswissenschaften an und lernt Max Adler, einen der führenden Austromarxisten, kennen. Adlers Versuch, Karl Marx und Immanuel Kant, Materialismus und Idealismus, zu verbinden, und seine Vision vom »Neuen Menschen« werden sie ihr Leben lang beeinflussen. Ihr Interesse an Reformpädagogik führt sie auch in den Kreis um Eugenie Schwarzwald, eine weitere Schlüsselfigur der Ersten Republik, in deren »Ferienkolonien« sowohl eine neue Pädagogik, basierend auf den Erkenntnissen der Psychoanalyse, als auch die Frauenfrage diskutiert werden. Die Ideen von Eugenie Schwarzwald finden Niederschlag in den Schulreformen, die Otto Glöckel entwickelt. Für ihre spätere Arbeit in der Bewährungshilfe spielt das Buch Verwahrloste Jugend eine entscheidende Rolle, das August Aichhorn, führender Vertreter der neuen Fachrichtung Psychoanalyse, im Jahr 1925 veröffentlicht. 1929 beginnt Elisabeth Schilder ihre publizistische Tätigkeit mit einem Artikel Was sollen unsere Mädel werden? und arbeitet am Handbuch Frauenarbeit in Österreich mit, das Käthe Leichter in der Wiener Arbeiterkammer 1930 veröffentlicht. Käthe Leichter wird für sie Vorbild und Mentorin. Auch praktisch setzt Schilder sich für Frauenrechte ein, von 1930 bis 1933 leitet sie die Frauenrechtsschutzstelle in Ottakring.

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