Eine nationale Herausforderung

von Drehli Robnik

Illustration: Christoph Kleinstück

Andere mögen »Probleme« haben, Österreich hat »Herausforderungen«. In der Krise wird ein Wort pandemisch, als Universal-Label eines völkisch erneuerten Neoliberalismus.


963 wörter
~4 minuten

Es war eine Zeit unglaublicher Herausforderungen!« Der Satz war Anfang Mai 2020 täglich mehrmals im ORF zu hören; er rotierte in einem Spot zum Programmschwerpunkt »75 Jahre Kriegsende«. Die Schlussphase und Kapitulation der Nazi-Herrschaft als Herausforderung – ein in Sachen Public History unglaubliches Etikett! Wäre nicht das Wort Herausforderung in der Corona-Krise zur Universal-Vokabel avanciert: Herausforderung kann plötzlich alles benennen. Eine drohende Überlastung des Gesundheitssystems oder das schwierige Anlegen von Schutzmasken. Oder in der Adjektiv-Form »herausfordernd«, die anstelle etwa von »düster« dazu dient, eine finanzielle Notlage beschreiben. Die Königs-, also Kanzlerdisziplin zur Zeit des 75. Jahrestags war es, wenn Kurz bündig verkündete, die Corona-Krise sei »für Österreich die größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg«.

Was heißt das? Abgesehen von dem Vergleich, den der spätgeborene und frühberufene Kanzler mit letzterem Stehsatz implizit zieht (heute die als Vorzeigeland bestandene Corona-Herausforderung – auch 1939 bis 1945 hiesige Höchstleistungen; Europa beide Male schwer beeindruckt). Herausforderung ist zunächst ein Leerwort. Als solches ist es lehrreich, aufschlussreich, denn es ist grundlegend. Ein Grund will ja nicht ständig neu explizit definiert sein (es wäre umständlich, wenn ein Kanzler immer dazu sagen müsste, dass Machtverfestigung seine Basismaxime ist). Sondern: Gewisse Grundlagen, ideologische Aprioris im gesellschaftlichen Betrieb, sind elegant mit ausgedrückt in einem viel verwendeten, vielsagenden Wort wie Herausforderung. Wie schon erwähnt: Vom persönlichen Alltag bis zur nationalen Geschichte gilt jetzt alles Mögliche als Herausforderung (mitunter auch als »echte«).

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