Kein Bruch, nirgends

von Franz Schandl

Die Grünen sind mit ihrem Regierungseintritt dort angekommen, wo sie hingehören. Wer mehr erwartet hat, mag enttäuscht sein, jede Hoffnung aber war lediglich die Folge einer Täuschung.


2063 wörter
~9 minuten

Das dümmste Wort, das in Zusammenhang mit dem Regierungseintritt der Grünen fallen kann, ist jenes des Verrats. Es erklärt nichts, es überführt die Kritiker geradezu der analytischen Hilflosigkeit. Es vernebelt frühere Illusionen, dient zur Verschleierung alter Fehleinschätzungen. Verrat hieße jedenfalls, dass man die Stehsätze, die geflügelten Worte von gestern nicht bloß gestern ernst genommen hat, sondern immer noch ernst nimmt. Diese Enttäuschung sollte man sich sparen. Der Regierungseintritt der Grünen bringt nur zur Geltung, was Sache gewesen ist. Da ist kein Bruch, nirgends. Das Ergebnis des Salzburger Bundeskongresses von Anfang Jänner, der den Pakt mit der ÖVP besiegelte, ist vielmehr zwingend und logisch gewesen, jenseits jeder Überraschung. Wer meinte, die Delegierten hätten anders abstimmen können, irrt. Es ging lediglich um die Höhe der Zustimmung. 

Züchtigung und Aufzucht

Die Grünen spiegeln heute das linksliberale Segment der Gesellschaft wider. Und zwar besser als die SPÖ. Sie haben einigen Rückhalt in den kulturindustriellen Sektoren (alte und neue Medien, Werbung, Beratungswesen, Kunst etc.), die dieses Projekt, wenn schon nicht in der Konkretion, so doch stets in der Intention mittragen. Das Wort Bündnis indes wäre ein Euphemismus, handelt es sich doch um eine ordinäre Unterwerfung, um ein Machtgefälle der obligaten Art. Hier regiert die kommerzielle Übermacht. Handeln Grüne zuwider, werden sie gnadenlos abgestraft. Nur sehr bedingt gehören sie sich selbst.

Jedes »Aber« ist strafbar und wird sanktioniert. Wenn die Grünen nicht spuren, dann werden sämtliche medialen Geschütze in Stellung gebracht und abgefeuert. Wer kennt sie nicht, die Sätze von den selbstgestrickten Pullovern, den ausgetretenen Herrgottsschlapfen, den Müsli-Fressern, Fundamentalisten, Irrealos, der Verbotspartei. Kaum passte etwas nicht an den Grünen, dann musste dieser ganze Schmonzes herhalten. Das Ziel war freilich vorgegeben: Labile Konformität soll sich zu ordinärer Affirmation steigern. 

Die Geschichte der Grünen ist auch die Geschichte eines medialen Züchtigungsprogramms: »Freda weg, Geyer weg, Fux weg. Sind die Grünen als politische Kraft noch zu retten?«, stand etwa Ende 1988 in der unseligen Zeitschrift Basta. Das war weniger eine Einschätzung denn ein als Prophezeiung getarnter Zuruf. Von dieser Sorte existieren tausende. Es gibt keine eigenständige grüne Politik, die nicht durch die Medienküche gegangen und von den Medienköchen abgeschmeckt worden wäre. Probieren sie es mal ohne, geht es immer daneben. Zuletzt, als man eine Koryphäe der boulevardesken Kompatibilität wie Peter Pilz loswerden wollte, kam es zu einer regelrechten Kampagne, die 2017 ein verheerendes Wahlergebnis bescherte.

Grüne Medienpolitik und mediale Grünpolitik sind eins. Präsent ist, wer oder was präsentiert wird. Peter Pilz lebte jahrelang von diesem Plus, das übrigens sein einziges gewesen ist. »Ein gutgesinnter ORF ist für uns alle das halbe Leben«, fasste einst ein grüner Parlamentsangestellter dieses gebieterische Faktum zusammen. Inzwischen haben sich die Gewichtungen aufgrund des Terraingewinns neuer Medien geändert, aber substanziell kann dieser Aussage nicht widersprochen werden. Die vierte Kraft ist in den Händen der vierten Gewalt.

Die Domestizierung der Grünpartei war ein Produkt weniger Jahre, nicht einiger Jahrzehnte wie etwa bei der Sozialdemokratie. Der radikale Impetus war schnell verbraucht und verflogen. Eigentlich schon in den Gründungstagen 1986, als die radikalen Linken (auch der Autor dieser Zeilen gehörte da dazu) mit medialer Schützenhilfe eliminiert wurden. Freda Meissner-Blau, die inszenierte und oktroyierte Ikone dieser Zeit, sprach von »linken Fransen«, die man abzuschneiden hatte. Fredas grobe Adjutanten hießen übrigens Pius Strobl und Peter Pilz. Letzterem ging es wie immer um Mandat und Ego. Dafür war dem Ex-Marxisten keine antikommunistische Bezichtigung zu blöd. »Es ist höchst an der Zeit, dass wir uns von den Chaoten trennen«, meinte stellvertretend etwa auch der spätere grüne Landtagsabgeordnete Martin Fasan. Einigung war nur als Säuberung zu haben.

Dabei statt alternativ

Die Grünen sind aber weniger eine bürgerliche Partei aufgrund der sozialen Herkunft ihrer Träger als vielmehr ob ihrer weltanschaulichen Zurichtung. Für die Herkunft kann niemand was, auch Bürgerinnensöhne und Bürgertöchter, für Verhalten und Ansichten sind sie allerdings schon zuständig. Nicht nur die Überzeugungen, auch der Jargon der liberalen vulgo kapitalistischen Demokratie ist inzwischen ihrer. Da stehen die gleichen Schlagworte in Gebrauch. Es ist ein Brei. Würde man nicht sagen, von wem welche Sequenzen stammen, hätte eins inzwischen Schwierigkeiten, sie zuzuordnen. Insofern braucht Politik unbedingt Gesichter, damit Differenzen wahrgenommen werden, wo es sie kaum gibt.

In zentralen Fragen, wie Arbeit, Geld, Konkurrenz, Markt, Standort, ist man sich mit allen anderen einig. Man ist dafür. Bei Wert, Werten und Wertegemeinschaft ist man ebenso an vorderster Front zu finden. Die EU-Religion wird von Grünen und ÖVP (neben den Neos) am entschiedensten vertreten. Ein bisschen anders gestalten möchte man halt. Von den immanenten Kräften sind die Grünen ja immer noch am sympathischsten. Wer sich mit alldem abfindet, ist mit ihnen gut bedient. Maximal sind die Grünen Avantgarde, nie aber Alternative.

»DIE GRÜNEN SIND NICHT EINMAL ZYNIKER DER MACHT, SONDERN GLÄUBIGE DERSELBEN. DIESE VERANTWORTUNG SAGT NEIN ZUM NEIN. WO KONSEQUENZEN NICHT BESTIMMT WERDEN KÖNNEN, IST VERANTWORTUNG ALLERDINGS EINE GRÖSSE DER DESTRUKTIVITÄT.«

»Grün ist links? Grün ist alternativ? Das ist Unsinn«, wusste der Ex-Linke Peter Pilz bereits 1991 im Kurier zu rapportieren. »Alternativ« war eine fiktionale Größe der Distinktion. Je genauer man hinschaut und je länger es dauert, desto mehr entpuppt sich das Andere als Variante des Gleichen. Aber die einstige Fiktion war kein bloßer Denkfehler, und wenn doch, dann ein objektiv notwendiger der Gründungstage. Denn primär aus dieser behaupteten Abgrenzung speiste sich ja die damalige Attraktivität, zumindest bei den Aktivistinnen und Aktivisten. Diese Einbildung hatte mobilisierenden, aber nicht substanziellen Charakter. Wären sie damals mit dem angetreten, was sie heute vertreten, hätten sie keinen Aufbruch geschafft. Würden sie freilich weiterhin das vertreten, was sie damals vertreten haben, hätten sie Schiffbruch erlitten. Die Differenz von Voraussetzung und Bedingung, von Konstitution und Kontinuität ist bemerkenswert, aber nicht außergewöhnlich. Jene ist geradezu kennzeichnend für alle relevanten politischen Kräfte des bürgerlichen Zeitalters. Auch so gesehen bildet die Ökopartei keine Ausnahme.

Dagegen sein ist zu wenig, dabei sein ist alles. Um dabei zu sein, muss man allerdings dafür sein. Man ist dafür und wird es auch bleiben. Vor allem die Betonung der ökosozialen Marktwirtschaft als Erweiterung der sozialen Marktwirtschaft zeigt an, dass wir es mit einer absolut systemimmanenten Partei zu tun haben und dass jeder Anspruch grundlegender Veränderung nur einer der ideologischen Folklore ist, ohne reale Bedeutung. Insofern ist auch dieser lange Marsch ein Marsch der Institutionen durch die Akteure gewesen und nicht umgekehrt.

Der staatsmännische Ton findet bereits in den Anfangstagen seinen Niederschlag. Schon im Investitionsprogramm von 1993 beschwor man ganz euphorisch das Bündnis mit der Industrie. »Nun, fünf Jahre nachdem die Grünen ihre Ideen erstmals konkretisierten, beginnt auch die Industrie die Seiten zu wechseln.« »Die Wirtschaft will rechnen, und deshalb muss die Politik berechenbar werden.« Die Umwelt tritt in der ökonomifizierten Sprache als »unser größtes Kapital« in Erscheinung. Das Investitionsprogramm ist laut Eigendefinition »realissimo«.

Der Publizist Tomasz Konicz schreibt: »Das ökonomische Fundament des Aufstiegs der ›Grünen‹ zu einer Volkspartei bildet die implizite Hoffnung auf ein neues Akkumulationsregime: auf den ›Green New Deal‹, ein umfassendes Programm zur ökologischen Transformation der kapitalistischen Gesellschaft, bei der ›ökologische‹ und ›regenerative‹ Industriezweige ihren Durchbruch erfahren und die Rolle von Leitsektoren der Wirtschaft einnehmen sollen. (…) Der Ideologie eines ›grünen‹ Kapitalismus fällt angesichts der sich global häufenden ökologischen Krisenerscheinungen künftig eine zentrale Rolle bei der Legitimierung der kapitalistischen Produktionsweise zu.«

Marktwirtschaft forever

Im Juli 1990 beurteilte die Wochenpresse das Telfser Programm der Grünen so: »Die einzelnen Forderungen in den drei Papieren sind relativ zahmer Art: Die Grünen sind kein Bürgerschreck mehr und – auch wenn Teile der ehemaligen Bewegung nichts davon wissen wollen – bereits auf dem besten Weg in eine kleine Koalition.« Wenn man sich die Mühe macht, grüne Partei- und Wirtschaftsprogramme durchzuschauen, kommt man schnell zu derselben Einsicht. Die Überlegungen der neuen Formation verblieben stets innerhalb des gesellschaftlich Erlaubten und Tolerierten. Grüne konstatieren Missstände, ohne deren Umstände zu benennen, sie suchen Schuldige anstatt Ursachen. Fehlverhalten wird aus seinen systemischen Zusammenhängen gerissen, wird individualisiert und kriminalisiert.

»Die Grünen erkennen an, dass der Markt das effizienteste bisher bekannte Steuerungsinstrument für wirtschaftliche Aktivitäten ist: nicht weniger, aber auch nicht mehr«, heißt es im Linzer Programm von 2001. Aufgabe der Grünen sei der »Einsatz für die liberale Demokratie in Österreich«, so Alexander Van der Bellen, damals Parteivorsitzender, jetzt Bundespräsident. »Die Politik muss das Primat über die Ökonomie wieder zurückerobern.« Et cetera. Standardisierte Vorurteile treffen sich mit obligaten Forderungen. 

Dem linksliberalen Konsens entspricht auch die Position zur Migration: »Die ›Verwertbarkeit‹ der Arbeitskraft darf nicht alleinige Voraussetzung für Einwanderung sein.« Aber eine wichtige, ja vielleicht sogar die ausschlaggebende, darf sie dieser Rede nach doch sein. Jene, die sich der Logik von Staat und Markt verschreiben, müssen dann auch (obwohl sie keine Rassisten sind!), den Staatsrassismus mittragen. Nichts anderes geschieht aktuell. Bei all den ritualisierten Verneigungen vor den Menschenrechten – Bürger sind Staatsbürger, andere Menschen sind lediglich Schutzflehende und Schutzbefohlene, kurzum illegal aliens. Ausgrenzung muss sein. Über Zahl und Modus darf aber gestritten werden. Und auch der grüne Zugang zur sozialen Frage ist ein karitativer, kein emanzipatorischer, der auf Ermächtigung und Mobilisierung der Betroffenen setzt. Es geht nicht um die Abschaffung der Armut, immerhin etwas haben sollen die Armen aber doch auch.

1999, als die deutschen Grünen unter Joschka Fischer Kriegspartei geworden sind und das NATO-Bombardement auf Jugoslawien vorantrieben, befanden sich die österreichischen Grünen mehr oder weniger im Schlepptau. »Ich habe übrigens noch nie ein schlechtes Wort über die NATO gesagt«, bekannte Van der Bellen ganz offenherzig. Der notorische Peter Pilz war bereits 1992 für die Entsendung von Bodentruppen nach Bosnien. Wenn schon, denn schon.

Gläubige der Macht

Grüne Basis und grüne Führung unterscheiden sich kaum. Erstere sind etwas zu kurz gekommen und letztere immer schon ein Stück weiter. Jedem Aufmucken folgt ein Niederducken. Basisdemokratie wird organisiert wie Demokratie, als re-organisierende Größe von Herrschaft. Abspaltungen von den Grünen haben sich stets als folgenlos und hilflos erwiesen. 

Die Grünen haben keinen Auftrag jenseits medialer Botschaften und vor allem jenseits kulturindustrieller Unterwürfigkeit. Nein zu sagen, geht gar nicht. Man braucht sich bloß das Trauerspiel um Sigrid Maurer anzusehen, die dieser Tage unermüdlich erklärt, wie reibungslos die Zusammenarbeit mit Sebastian Kurz und der ÖVP läuft. Wenn der ein Schnösel wäre, müsste sie lügen. Das ist die Strafe für den Stinkefinger.

Zweifellos ist es unmittelbar besser (genauer gesagt: weniger schlecht), solche Leute sitzen an bestimmten Waltstellen (orwellisch heißen die »Schaltstellen«) der Republik als Freiheitliche. Schon alleine was Fähigkeit und Seriosität betrifft. Nicht wenige sind links vorbelastet, aber fraglos wird es ihnen gelingen, nicht so zu erscheinen. Dafür werden sie besonders artig und fleißig sein. Das dürfen sie. Dazu sind sie da. Ansonsten werden sie aufgemischt und ausgesondert.

Taktisch sind die Grünen hinreichend aufgestellt, personell gut bestückt. Kogler und sein Team sind Profis. Die Verwaltung der kapitalistischen Demokratie werden sie mit Bravour bewerkstelligen, in vielen Punkten besser als die Türkisen. Die schrankenlos blödsinnige Frage, ob die Grünen regierungsfähig sind oder nicht, ist eindeutig zu beantworten: Sie sind die Regierungsfähigsten. 

Das – von Werner Kogler immer »Verantwortung« genannte – Amt nehmen sie nicht nur ernst, sondern ernster als alle anderen. Die Grünen sind nicht einmal Zyniker der Macht, sondern Gläubige derselben. Diese Verantwortung sagt Nein zum Nein. Wo Konsequenzen nicht bestimmt werden können, ist Verantwortung allerdings eine Größe der Destruktivität. Durchgestrichen ist damit jedenfalls jede Perspektive, die etwas anders will, als den Status quo fortzusetzen. Doch Werner Kogler versteht das politische Geschäft. Das Spiel geht weiter, obwohl es selbst schon auf dem Spiel steht. Mit solchen Kleinigkeiten aber hält sich die Politik erst gar nicht auf, auch die grüne nicht.

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