Königreich der Widersprüche

von Tyma Kraitt

Illustration: Christoph Kleinstück

Die Covid-19-Pandemie und der darauffolgende Ölpreisschock haben die Schwächen der saudischen Petroökonomie offengelegt. Einfach wird die ökonomische Talfahrt Saudi-Arabiens nicht zu überwinden sein.


1698 wörter
~7 minuten

Es war Abdalrachman Munif, der 2004 verstorbene arabische Romancier, der in seiner Pentalogie Mudun al-milh erstmals das Erdöl in den literarischen Fokus holte. Mit der räumlichen Metapher der Salzstädte, wie Mudun al-milh auf Deutsch übersetzt heißt, zeichnete er das Bild künstlicher Siedlungen, die aufgrund des neuen Ölreichtums aus dem Boden gestampft wurden und jederzeit wieder in sich zusammenfallen können. Denn sobald »Wasser eindringt, lösen schon die ersten Wellen das Salz auf, und diese großen Städte versinken im Nichts«. Munif schilderte die drastischen gesellschaftlichen Folgen der durch die Entdeckung des Erdöls entfachten »arabischen« Urakkumulation, allen voran Vertreibung und Entfremdung. Aus entwurzelten Beduinen wurden Lohnarbeiter, aus der Monarchie jedoch nur ein pseudomodernes Staatsgebilde, das sich auf die Kollaboration mit dem Westen und mit dem rückwärtsgewandten religiösen Establishment stützte. In Saudi-Arabien ist Abdalrachman Munifs Romanzyklus bis heute verboten, ihm selbst wurde die saudische Staatsbürgerschaft bereits 1963 wegen seines politischen Aktivismus, er war Baathist, entzogen.

Munifs Sprachbild von den aufgeblähten und zugleich fragilen Salzstädten hat nichts an Aktualität und analytischer Klarheit eingebüßt. Das Königreich Saudi-Arabien befindet sich derzeit im akuten Krisenmodus. Dass der ökonomische Wohlstand hier nicht auf einem Nachhaltigkeitsgedanken fußt, ist freilich keine neue Erkenntnis. Die Covid-19-Pandemie und der darauffolgende Ölpreisschock haben die Schwächen der saudischen Petroökonomie erneut offengelegt. Doch die Abhängigkeit vom Erdöl wird in einer Post-Corona-Welt nicht mehr bloß ein Fluch sein, sondern eine Katastrophe.

Milliarden verpuffen

Die Pandemie mag zwar die saudische Finanzkrise zuge-spitzt haben, König Salman und sein machtversessener Kronprinz hatten jedoch eine fünfjährige Anlaufzeit, um ihr den Weg zu ebnen. Ende 2014, kurz vor dem Machtantritt von Salman ibn Abd al-Aziz, betrug die Staatsverschuldung in Relation zum BIP gerade einmal 1,6 Prozent und war damit auf einem Rekordtief. Heuer liegt sie schon bei 28,4 Prozent. Dieser Trend geht ungebrochen weiter. Erst kürzlich gab Riad bekannt, dass sich die Regierung erneut 58 Milliarden US-Dollar leihen würde. Laut Weltbank ist die Bruttoauslandsverschuldung im Zeitraum von 2018 bis 2019 von 151 auf 183 Milliarden US-Dollar angestiegen. Die Dynamik ist aufschlussreich. Im Jahr 2014 lag die Auslandsverschuldung Saudi-Arabiens noch bei 12 Milliarden US-Dollar. Zeitgleich gingen die Barreserven, das heißt der Bestand an verfügbarem Bargeld, zurück, nämlich von über 700 auf nicht einmal mehr 500 Milliarden US-Dollar. Wohin die Finanzreserven des saudischen Staates geflossen sind, lässt sich erahnen. Ein heißer Tipp ist das kostspielige militärische Abenteuer im jemenitischen Hinterhof. Ein anderer der ehrgeizige Reformplan »Vision 2030«.

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