Foto: Gust Maly (†) / Adalbert-Stifter-Institut des Landes Öberösterreich

Vor dem Erbe nicht geflohen

von Helmut Neundlinger

Vor zehn Jahren starb die Linzer Autorin Eugenie Kain, heuer wäre sie 60 geworden. Ein Sonderheft der Literaturzeitschrift »Rampe« widmet sich ihrem Leben und Werk.


1219 wörter
~5 minuten

April 1968: Die Welt befindet sich in Aufruhr, der Vietnamkrieg mobilisiert globale Protestaktionen. Als Berichte über Napalm-Bombardements gegen die Zivilbevölkerung bekannt werden, setzt der Linzer Schriftsteller, Journalist und Chefredakteur der KP-Zeitung Neue Zeit Franz Kain ein persönliches Zeichen: Mit einem am Körper befestigten Protestschild promeniert er über die zentral gelegene Linzer Landstraße. An der Hand hält er seine damals achtjährige Tochter Eugenie, die ebenfalls ein Schild trägt, auf dem steht: »Schützt die Kinder von Vietnam!« Vierzig Jahre nach diesem Ereignis erzählt Eugenie Kain in einem Interview dem Linzer Zeithistoriker Michael John: »Wir sind beschimpft worden, es haben uns Passanten angeredet und angepöbelt, ich habe das ziemlich unangenehm in Erinnerung.« 

Das Widerständige war Eugenie Kain nicht nur über den bereits in Jugendjahren als Widerstandskämpfer aktiven Vater Franz gleichsam familiengeschichtlich eingeschrieben. Die Urgroßmutter hatte die erste Demonstration zum 1. Mai im Linzer Vorort Pasching organisiert, die Großmutter war wegen der Gründung einer kommunistischen Frauengruppe eingesperrt worden. Ein Großonkel hatte bei den Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft und galt als vermisst, ein anderer Großonkel war im KZ Mauthausen wenige Tage vor der Befreiung des Lagers noch vergast worden. Eugenie Kain ist vor diesem Erbe nicht geflohen, sondern hat es früh inkorporiert und auf ihre Weise weitergelebt, weitergeschrieben. 

1978 übersiedelt sie nach Wien und inskribiert Germanistik und Theaterwissenschaften. Prägender als die Universität nennt Kain in einem Interview die Kulturszene im WUK, das Kulturzentrum Gassergasse sowie die 1979 gegründete Linzer Stadtwerkstatt. Früh entwickelt sie auch ihr Sensorium für marginalisierte Arbeitswelten: Ein Ferialjob als Putzfrau bei einer Linzer Versicherung mündet auf Anregung ihres Vaters in eine Erzählung mit dem Titel Endstation Naßzone, in dem ihr literarisches Alter Ego einen ganzen Reigen weiblicher Arbeitsbiografien samt den damit verbundenen Ausbeutungs- und Demütigungserfahrungen einfängt. Die literarische Qualität der Arbeit bleibt nicht unbemerkt: 1982 wird Eugenie Kain für den Text mit dem von der Linzer Arbeiterkammer vergebenen Max-von-der-Grün-Preis für Literatur zur Arbeitswelt ausgezeichnet. 

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