Jetzt sind wir dran

von Andrea Heinz

523 wörter
~3 minuten
Jetzt sind wir dran
Franziska Heinisch
Wir haben keine Wahl
Blessing, 2021, 288 Seiten
EUR 14,40 (AT), EUR 14,00 (DE), CHF 20,50 (CH)

Ob es ein Manifest ist, wie der Titel suggeriert, lasse ich offen. Es ist jedenfalls der Versuch, die vielen Krisen und die Hoffnung auf Veränderung zusammenzudenken. Nicht nur die Ökologie, die Toten im Mittelmeer, die Ungleichheit, der alte und der neue Rassismus sind politisch, auch »Ohnmacht ist politisch«, schreibt die Autorin. Sie ist Jahrgang 1999 und verstärkt meinen Eindruck, dass eine tolle junge Generation heranwächst, die mehr von der Welt und den Krisen weiß als die meisten Politiker und Experten (die Expertinnen kommen meist besser weg). Sie hat viel, teils durchaus bekanntes Material zusammengetragen, es geht in diesem »Manifest« nicht darum, irgendeine steile neue These zu präsentieren, sondern Wissen und Argumente in einen Kontext zu stellen, der einen Weg aus der Ohnmacht weisen könnte. 

Finanzmarkt, alter wie neuer Kolonialismus, die Umstände, unter denen die Rohstoffe gewonnen und verwertet werden, Macht und Tricks der Chemieindustrie und immer wieder der Wachstumswahn werden aus mehreren Perspektiven beleuchtet. Auch die Begrifflichkeit, in der von Wohlstand, Green Deal oder Arbeitsplätzen gesprochen wird, prüft Franziska Heinisch, stets mit Anmerkungen, woher sie das Material hat – fragend, suchend, klar formuliert.  

»Nun ist es ja wenig überraschend, dass die Superreichen der Welt und auf Profit ausgerichtete Konzerne sich nicht in erster Linie für Gerechtigkeit zuständig fühlen.« Neben der geballten Macht von Konservativen und Kapital betont sie Hindernisse und Gegenargumente, die es schwer machen, Veränderung für möglich zu halten, geht ausführlich auf Lobbys, Parteien, gekaufte Wissenschaften ein und meint doch: »der Kampf ist noch nicht entschieden«. Sie erklärt in bewundernswerter Knappheit, warum die Wirtschaft immer weiter wachsen »muss« (auch wenn sie »grün« wächst), wie dieses Wachstum den Planeten ruiniert, weiter Ungleichheit und permanente Krisen produzieren wird. Ein Kapitel heißt »Blick in den Abgrund« und sie schaut hinunter, dort wo die Erde und immer mehr Menschen zugrunde gehen und es schwerfällt, noch Hoffnung zu nähren. Nachdem sie Ohnmacht, Klima, vorherrschende politische Strategien mit Verve und Wissen vorgeführt hat, erklärt sie, »[w]arum wir einen ›system change‹ brauchen«. Das System ist nicht nur krank, es funktioniert auch nicht mehr, das liberale Märchen ist an sein Ende gekommen. 

Wenn sie schreibt, dass wir aus der Geschichte lernen müssen, holt sie nicht alte Modelle aus der revolutionären Kiste, sondern spricht von einem notwendigen Update der Demokratie: »Das Problem sind verkrustete Strukturen, sie bewirken, dass politische Prozesse zu intransparent, zu anfällig für Machtspielchen, zu langsam sind.« 

Als alternde Linke staune ich, zweifle, und bewundere diese junge Frau. Woher nimmt sie die Zuversicht? Ihr Mut speist sich aus der Alternativlosigkeit. Protest alleine, sagt – nein, ruft – sie, genüge nicht, es brauche Strategien und den Zusammenschluss all der Initiativen, die es schon gibt. Organizing ist ein zentrales Stichwort; es gäbe längst eine Mehrheit: etliche Gruppen, Thinktanks, NGOs, Netze – koordiniert könnten sie zu einer Gegenmacht werden. 

Vor allem schreibt Franziska Heinisch gegen die Resignation an. »Die Stunde der Träumer*innen hat geschlagen, und es gibt Tausende Gründe gegen das Aufgeben. Nutzen wir sie.«

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