Türkiser Weltbrand

von Johannes Kaminski

505 wörter
~3 minuten
Türkiser Weltbrand
Elias Hirschl
Salonfähig
Zsolnay, 2021, 256 Seiten
EUR 22,70 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 30,90 (CH)

Als vor zwei Jahren die offizielle Sebastian-Kurz-Biografie von Judith Grohmann erschien und das Lesepublikum unisono mit einem Lachanfall reagierte, distanzierte sich das Bundeskanzleramt prompt von dem albernen Text. In Kurz’ Porträt als »Baby auf der Überholspur« oder als bedeutungsvoll in die Leere blickender Feschak schien sich die Satire von selbst zu schreiben. Und damit war klar: Der Grad zwischen virtuoser Message-Control und völligem Schwachsinn ist schmal wie Slim Fit. 

Elias Hirschls dritter Roman Salonfähig taucht in die Welt der Jungen ÖVP oder eben der »Jungen Mitte« ein, jener politischen Nachwuchsorganisation, in der sich die jeunesse dorée ihrer Sorglosigkeit entledigt hat. Im Zentrum steht stattdessen die strategische Selbsterfindung innerhalb einer Parteihierarchie – mit dem strahlenden Kurz (alias Julius Vega) an ihrer Spitze und dem gequälten Erzähler in ihren Niederungen. Erklärtes Ziel dieser Neo-Sekte ist es, eine offene Körperhaltung einzunehmen (weil das Souveränität vermittelt) und die eigene Mimik zu kuratieren wie eine »regelmäßig gewartete Rolltreppe«. Dieses türkise Pandämonium führt vom Blumengießen beim Bundeskanzler über unterkühlte Netflix-Abende mit Moni bis hin zu verkoksten Clubnächten, in denen es Analverkehr um 60 Punkte gibt. Vor allem aber kreist der Roman um den kritischen Moment, wenn die Sorge um den eigenen Haaransatz in Mordfantasien und Selbstmordimpulse kippt. 

Salonfähig befasst sich mit dem Innenleben der schulterklopfenden »Kriegst eh alles, was du willst«-Kultur, die seit 2017 die österreichische Politik bestimmt. Hirschl lässt sich nicht von leeren Werteformeln ablenken und porträtiert eine Psychokultur, in der das gesprochene Wort zum Nebengeräusch verkommen ist. Ausgehend von der zentralen Einsicht, dass, wer Erfolg haben möchte, ständig nur dasselbe sagen und immer wieder variieren muss, verschwimmt der Unterschied zwischen Wahlkampf und Seelenleben. Bis es keine Rolle mehr spielt, ob sich der Erzähler gerade auf einem Networking-Event, in Therapie oder einer Rhetorikschulung befindet. Zuletzt wird eine erschütternde Möglichkeit greifbar: Ist der zerrüttete Erzähler bloß eine abgespaltete Teilseele des perfekten Julius Varga? Hier führt das durchkuratierte Lebensgefühl aus Leif Randts Allegro Pastell weit über die Erstarrung aller spontanen zwischenmenschlichen Regungen hinaus und verwebt Seelenleben und Politik in kompulsiven Auslöschungsfantasien.

Hirschls Prosa sprüht vor Einfällen und sinnigen Verknüpfungen. Die papierenen Formeln des politischen Frage-Antwort-Spiels werden virtuos heranzitiert, um mittels raffinierter Montagen in neue Zusammenhänge gestellt zu werden. In dieser Welt bedarf es nur eines falsch abgestellten Glases, um einen perfekt inszenierten Kerzenlichtabend in blanken Horror abrutschen zu lassen. Salonfähig erklärt uns die politische Misere der Gegenwart als Resultat einer Anthropologie, die aus der Lektüre allzu vieler Self-Improvement-Bücher resultiert: »Jeder kann werden, was er möchte. Man muss es nur lange genug einüben.« Bis von der Individualseele nur mehr eine versteckte Knopfleiste übrig bleibt und die ganze Welt brennen muss, um den Verlust der eigenen Seele wiedergutzumachen. 

Bei Salonfähig handelt es sich um den Roman des Jahres. Hut ab!

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