Vor dem Schiffbruch?

von Alfred J. Noll

495 wörter
~2 minuten
Vor dem Schiffbruch?
Georg Seeßlen und Markus Metz
Wir Kleinbürger 4.0 Die neue Koalition und ihre Gesellschaft
Edition Tiamat, 2021, 282 Seiten
EUR 20,60 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 26,90 (CH)

Georg Seeßlen und Markus Metz zeichnen nach, wie sich die jeweiligen wirtschaftlich-sozialen Änderungen in den politisch-kulturellen Verhaltensweisen des Kleinbürgertums niederschlugen – und sich dabei verschiedene Varianten herausbildeten: die Spaltung des »dritten Standes« im Frühkapitalismus (Kleinbürger 1.0), die Auf- und Absteiger im Früh- und Gründerkapitalismus (Kleinbürger 2.0), die Konstruktion der breiten Mitte im Konsumkapitalismus (Kleinbürger 3.0) und jetzt eben der »Kleinbürger 4.0«. Hier kündigt sich als Kind von Neoliberalismus und Ökologie eine Renaissance der Klasse der Mitte an: »Der Kleinbürger 4.0 scheint, während er so angelegentlich in die Breite geht, genau dies zu schaffen: eine zentripetal wirkende Mitte, die die widersprüchlichsten Impulse der widersprüchlichen Klasse anzieht und sich anverwandelt – zu großen Worten und allenfalls schmerzlosen Taten.«

Jetzt sei man weder links noch rechts, sondern wieder ganz »mittig«, man sei weder fortschrittlich noch reaktionär, sondern Synthese und Harmonie. Die programmatische Hoffnung des kleinbürgerlichen Selbstrettungsversuchs sei die moderate Individualität: »Der Umbau von Staat, Gesellschaft und Ökonomie, die große Transformation des Neoliberalismus, ist vollendet und soll nun, von Exzessen, Extremen und ›Illusionen‹ gereinigt, dem neuen ›normal‹ entsprechen. Und in dem man sich wieder seinen Geschäften und Karrieren widmen und wo man sich wieder um die internen Probleme der Klasse kümmern kann …«

Seeßlen und Metz liefern en passent eine veritable Beschreibung der zwischen Konservativen und Grünen geschlossenen politischen Kohabitation, die ätzender und analytisch begründeter kaum sein könnte: »Nachdem ihm zwei störende Segmente glücklich abhandengekommen waren, die ökonomischen Verlierer, die ins neue Dienstleistungsproletariat, in die Neosklaverei der Verlierer und ins Dauerprekariat abgesunken sind, und die ideologischen Dunkelmänner, die es so weit nach rechts getrieben hat, dass sich die Mitte dann eben doch von ihnen lossagt, kann der Kleinbürger 4.0 wieder ganz bei sich und bei einer geradezu erschütternden Selbstzufriedenheit sein. Jetzt mag er sich wieder, der Kleinbürger, jetzt mag sie sich wieder, die Kleinbürgerin. Und jetzt bilden sie wieder genau den Staat, der ihnen angemessen ist.«

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