Nobelpreis für einen Beihelfer

von David Mayer

Österreichisches Tagebuch, Nr. 12, November 1976


532 wörter
~3 minuten

Vor 45 Jahren erhielt der US-amerikanische Ökonom Milton Friedman den Wirtschaftsnobelpreis. Sein Name ist wie kaum ein anderer mit Marktradikalismus, Staatsrückbau und neokonservativer Politik verbunden. Im engeren Sinne steht Friedman mit dem Schlagwort Monetarismus für eine Sicht, die Wirtschaftspolitik auf die Geldmengensteuerung beschränkt wissen will. Als Führungsfigur der Chicagoer Schule bildete er jene Kohorten von Wirtschaftsexperten aus, die ab 1973 in dem von rechten Militärs beherrschten Chile, später auch in vielen anderen Ländern, wirkten. In einer kurzen, ohne Autorenvermerk gedruckten Glosse kommentierte das Wiener Tagebuch Friedmans Nobelpreis mit besonderem Verweis auf dessen Beraterrolle im diktatorischen Chile. Die dabei umgesetzte Wirtschaftspolitik hatte im Übrigen, im Gegensatz zur späteren Rede vom »Wirtschaftswunder«, in den ersten Jahren nur katastrophale Ergebnisse vorzuweisen – unter anderem eine hohe Inflation. 

Diese Kurznotiz aus dem Jahr 1976 schließt auch einen Kreis zu den Fundstücken im letzten und vorletzten »Tagebuch im TAGEBUCH«: In ihnen ging es um den rechten Militärputsch in Chile im September 1973 sowie um eine heute fast vergessene Großmobilisierung gegen das Einsetzen der Reaganomics in den USA 1981. Dazwischen liegt der Aufstieg neoliberaler Ökonomen und Netzwerke zum tonangebenden Paradigma unter den herrschenden Eliten.

Nobelpreis für »Chicago Boys«

»Milton Friedman gilt als Konservativer, als Neo-Klassiker, der den Standpunkt vertritt, der Staat möge sich so wenig wie möglich in den Ablauf des wirtschaftlichen Geschehens einmischen, das sich, allein gelassen, automatisch sehr gut selbst reguliert. […]
[…]
Auch Ralf Dahrendorf, derzeit Direktor der London School of Economics erläutert in Die Zeit (22. Oktober) die Einstellung des von ihm an und für sich geschätzten Milton Friedman […]: ›Staatsexamen und Zulassungsregeln für Ärzte? Ganz überflüssig, sagt er; der Markt wird die Quacksalber schon von selbst ausscheiden. Ein öffentliches Bildungswesen mit Gebührenfreiheit und Zuschüssen für alle möglichen Zwecke? Ganz falsch, meint Friedman; allenfalls sollten einzelne Zuschüsse, vielleicht mehr Darlehen bekommen, um dann in Einrichtungen ihrer Wahl Kurse ihrer Wahl zu finanzieren und auf diese Weise Quantität und Qualität des Angebots zu regulieren.‹ […]
[…]
Milton Friedman ist nicht nur in der Ökonomie konservativ, sondern auch in der Politik. So unterstützte er 1964 die Präsidentschaftskandidatur von Barry Goldwater. Vor zwei Jahren folgte er einer Einladung der chilenischen Junta, als Ratgeber zur Überwindung der Wirtschaftsprobleme des Landes beizutragen. Hier hatte der Professor die seltene Gelegenheit, in der Praxis die Gültigkeit seiner theoretischen Auffassungen zu überprüfen. Denn Pinochets Regierung folgte dem Rat des Amerikaners.
In einem Briefwechsel mit Professor Dr. Gerhard Tintner, Leiter des Instituts für Ökonometrie an der Technischen Hochschule in Wien, verteidigte sich Milton Friedman gegen den Vorwurf, er sei einem faschistischen Regime zur Hilfe gekommen, unter anderem mit dem Argument, er glaube, ›durch gute ökonomische Ratschläge einen Beitrag zur Stärkung der Freiheit geleistet zu haben‹. 
[…]
Seine Ratschläge konnten aber nur unter einer Bedingung verwirklicht werden: der gewaltsamen Aufrechterhaltung eines Zustandes der absoluten gewerkschaftlichen und politischen Rechtlosigkeit und Ohnmacht breitester Volksschichten. Milton Friedman ist – akademisch betrachtet – zweifellos ein bekannter und bedeutender Ökonom. Über die konkreten Folgen seiner Ratschläge haben sich jene, die über die Verleihung des Nobelpreises zu entscheiden hatten, hinweggesetzt. Oder haben sie die Folgen mitberücksichtigt?«

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