Wer räumt die Scherben weg?
von Bärbel Danneberg
EUR 15,50 (AT), EUR 15,00 (DE), CHF 19,90 (CH)
In der Neuzeit nahmen zwei der größten Revolutionen, die Französische und die Russische, in von Frauen angeführten Brotrevolten ihren Anfang, schreiben Nancy Fraser, Tithi Bhattacharya und Cinzia Arruzza in ihrem Manifest Feminismus für die 99 %. Die Autorinnen, alle drei Universitätsprofessorinnen im marxistisch-feministischen Kontext, erblicken eine neue feministische Kraft am Horizont der krisengeschüttelten Welt, die in der Lage ist, eine weltweite Streikbewegung zu entflammen.
»Die Courage, dieses Projekt jetzt anzugehen, beziehen wir aus der neuen Welle des militanten feministischen Aktivismus«. Was ist geschehen, dass Feminismus, das Buh-Wort jüngerer Tage, plötzlich zum hoffnungsfrohen Schlachtruf wurde? Schon Ingrid Strobl nannte in ihrem 1989 erschienenen Buch Frau sein allein ist kein Programm die Speerwerferinnen in Hitlers Olympiade »Schablonen der Macht«. Auch Margret Thatcher hat ihr neoliberales Privatisierungsprogramm von öffentlichem Eigentum als alternativlosen Sieg durch Frauenpower symbolisiert. Die Autorinnen von Feminismus für die 99 % lassen in diesem Sinn kein gutes Haar am institutionellen Feminismus. Auch die neue EU-Präsidentin Ursula von der Leyen hat sich mit ihrer zur Hälfte mit Frauen besetzten Kommission eine »feministische« Note setzen wollen. Mit diesem »1%-Feminismus« an den Hebeln der Macht wird den restlichen 99% ständig vor der Nase herumgewedelt: frau kann es schaffen. So hat auch die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg als »Magd des Kapitalismus« mit ihren Floskeln von »Durchsetzungsvermögen« und »lean in« ihre feministische Nische gefunden und Kohle im Herrschaftssystem gemacht. Der unternehmensnahe, liberale Feminismus suggeriert, mit Ausdauer und Zähigkeit sei es für jede zu schaffen, die gläserne Decke nach oben zu durchstoßen. Und wer räumt die Scherben weg?
Das Manifest zeigt an vielen Beispielen, »dass Klasse in kapitalistischen Gesellschaften nicht nur aus Verhältnissen hervorgeht, die auf der unmittelbaren Ausbeutung von Arbeit beruhen«, sondern dass gesellschaftliche Reproduktion von den »Bruchlinien der Klasse, der ›Rasse‹, der sexuellen Orientierung und der Nation« durchzogen ist. Reproduktion ist der Schlüssel von Herrschaft. In diesem Zusammenhang verwundert es, dass das Thema Gen- und Reproduktionstechnologie den Autorinnen keine Beachtung wert ist. Die Verschränkung von Kapitalismus und Patriarchat ist keine neue Erkenntnis. Marxistische Feministinnen wie Angela Davis oder Frigga Haug haben »Rasse, Klasse und Geschlecht« bereits in den 1970er Jahren als systemimmanentes Herrschaftssystem thematisiert. Die Streikbewegungen der letzten Jahre in Polen, Spanien, Brasilien und anderswo geben den Autorinnen aber große Hoffnung auf einen Wandel im Care-Bereich und auf »eine völlig neue Gesellschaftsordnung«. Nach der erfrischenden Lektüre meine ratlose Frage: Und nun, was tun?
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