Mit Jeremy Corbyns Wahl zum Labour-Vorsitzenden hatte sich 2015 ein Möglichkeitsfenster geöffnet, das größte seit Generationen. Sozialistinnen kamen zu Einfluss, hatten Zugang zu Ressourcen und Kommunikationskanälen, von denen sie bis dahin nicht zu träumen gewagt hatten. Weite Teile der Linken ergriffen die Gelegenheit. Sie wollten erst die Labour Party und dann das Land verändern.
Fünf Jahre später ist dieses Möglichkeitsfenster geschlossen. Trotz beeindruckender Mobilisierungen, trotz hunderttausender Freiwilliger im ganzen Land fuhr Labour eine krachende Niederlage ein. Nun sind die Furien losgelassen. Corbyn tritt zurück und mit ihm sein Vertrauter, Schatten-Finanzminister John McDonnell. Die Labour-Rechte will die Linke aus der Partei verdrängen und ein neues Elitenbündnis in den Parteiapparaten installieren.
Die meisten Kandidatinnen für Corbyns Nachfolge stehen politisch deutlich rechts von ihm. Zugleich betonen sie jedoch, nicht von der Anti-Austeritätslinie abrücken zu wollen. Sowohl der aktuelle Favorit Keir Starmer, eine farblose Gestalt aus der Parteimitte, als auch die Parteirechte Jess Phillips fühlen sich gezwungen, öffentlich gegen neoliberale Kürzungspolitik Stellung zu beziehen. Unter den allermeisten Kandidatinnen würde das Programm Corbyns allerdings auf ein paar ökonomische Kernforderungen reduziert – höhere Steuern für die Reichen,
mehr öffentliche Investitionen – und alles andere als zu radikal verworfen werden. Auch in der Migrations- und Außenpolitik wird die Partei wohl nach rechts rücken. Die Favoritin der Parteilinken, Rebecca Long-Bailey, steht am stärksten für Kontinuität. Sie war an der Ausarbeitung einiger der kreativsten politischen Pläne Corbyns beteiligt und insbesondere für die Entwicklung der »Green Industrial Revolution« verantwortlich. Sollte sie gewinnen, würde sie das wohl ins Zentrum ihrer Politik stellen. Doch es ist zu befürchten, dass die Enttäuschung nach der Wahlnieder-
lage viele Corbyn-Sympathisantinnen in das Lager Keir Starners treiben wird – im falschen Glauben, ein »Kandidat der Mitte« würde einen Wahlsieg wahrscheinlicher machen.
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