Maria Lazar
Leben verboten!
Verlag Das vergessene Buch, 2020, 380 Seiten
EUR 26,00 (AT), EUR 26,00 (DE), CHF 33,40 (CH)
Man erschrickt oft, wenn man Maria Lazar liest. Wegen der Jahreszahlen nämlich: Ihr lange verschollenes Hauptwerk Leben verboten! hat sie bereits 1929 vergeblich Zsolnay und anderen Verlagen angeboten. Die Originalfassung, die nun, herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von dem Wiener Germanistik-Professor Johann Sonnleitner, als deutsche Erstausgabe im Wiener Verlag Das vergessene Buch erscheint, stammt von 1932. Der Widerstandsroman Die Eingeborenen von Maria Blut, 2015 im selben Verlag erschienen, wurde 1935 fertig gestellt. In beiden Texten wird das Grauen, das der Nationalsozialismus in den kommenden Jahren bringen sollte, mit einer Klarsicht beschrieben, dass man kaum fassen kann, wie die Autorin das alles schon »vorher« wissen konnte.
Die Eingeborenen von Maria Blut erzählt vom Aufkeimen des Faschismus in einem oberösterreichischen Provinznest. Im Zentrum steht der sozialistische Arzt Gustav Lohmann, ein wütender, zum Handeln jedoch unfähiger Außenseiter in einer bigott-stupiden Dorfgemeinschaft. Um ihn herum zeichnet Maria Lazar ein buntes habsburgisches Figuren-Panoptikum: eine fromme Wirtstochter, ein Baron, der als mutmaßlich unehelicher Sohn des Erzherzogs Otto vorsorglich mit »kaiserliche Hoheit« tituliert wird, ein italienischer Bettgeher, der sich durch den Verkauf von Kokosbusserln über Wasser hält, dazu allerlei den Kronländern entstammende Dienstmädchen. Auch ein selbstgerechtes, autoritätshöriges Bürgertum gibt es in diesem Dorf – und eine Horde »Hakenkreuzler«, deren wüstes Treiben halb angewidert, halb beiläufig hingenommen wird: »Es sind doch auch die anständigsten Leute dabei.« Was unweigerlich kommen wird, das scheint einzig der jüdische Anwalt Meyer-Löw zu sehen, dem der antisemitische Mob die Fenster einschlägt: »Es werden noch ganz andere Steine rollen, und nicht nur mehr zu meinen Füßen. Lohmann, von den Zeiten, die jetzt kommen werden, haben Sie keine Vorstellung. Sie sind ein einfacher Mensch, Lohmann, deshalb verstehen Sie die Primitiven nicht. Es kommen grausame Jahre.« Auch Adolf Hitler und sein Mein Kampf tauchen im Roman auf, in einer Passage, die fast schon lustig wäre, wenn es nicht so schrecklich wäre: »Wenn du so weitermachst, du wirst auch so einer wie dem Krückelgruber, meinem Onkel, sein Adolf. Der hat auch nie was lernen wollen, obwohl sie ihn doch in die Realschul geschickt haben, zu nichts hat er getaugt, Künstler hat er werden wollen, der Depp, dann ist er verkommen und jetzt reißt er das Maul auf und treibts mit den Hakenkreuzlern«, liest die Wirtin Therese Heberger einmal ihrem missratenen Sohn die Leviten.
Viele der Elemente aus den Eingeborenen von Maria Blut sind bereits in Leben verboten! angelegt. Während die Eingeborenen von Maria Blut aber noch eher an einen Heimatroman erinnern, ist Leben verboten! ein Großstadt- und Kriminalroman. Den Hintergrund bilden Massenarbeitslosigkeit und Verelendung und – wenn auch nicht ganz so präsent – der Antisemitismus. Erzählt wird die Geschichte des Berliner Bankiers Ernst von Ufermann. Er steht kurz vor dem Bankrott und ist gerade unterwegs zu einem Geschäftstermin, der ihn retten soll. Doch jemand klaut ihm die Brieftasche und er verpasst den Flieger, der ohne ihn losfliegt und gleich darauf abstürzt. Von Ufermann, ein sympathischer, aber auch etwas rückgratloser Mensch, geht, wie der Strom, den Weg des geringsten Widerstandes. Statt die Sache aufzuklären, lässt er zu, dass nun alle Welt glaubt, er sei tot. Spätestens an dieser Stelle, vermutlich dem Genre des Kriminalromans geschuldet, wird die Handlung recht wild: Statt zu seiner kränkelnden und zufällig gerade mal nicht in Davos weilenden Frau fährt Ufermann zu seiner Geliebten, klaut sich dort ein wenig Geld, trifft auf Straßenmädchen und gefährlich aussehende Boxer und landet schließlich mit falschen Papieren und einem geheimnisvollen Päckchen im Zug nach Wien. Dort erwarten ihn bereits die Empfänger: eine Gruppe halbstarker Windjacken-Träger, Schmiss auf der Wange. Ufermann quartiert sich bei der Familie eines der Jung-Faschisten ein und landet mitten im kleinbürgerlichen Vorstadt-Milieu: Hofräte und angeheiratete Baroninnen, allerlei Ausgesteuerte (sprich: Arbeitslose, denen die Bezüge gestrichen wurden) und Dienstmädchen, die erst etwas geschenkt kriegen, eine Kerze nämlich, wenn sie bei einer Abtreibung gestorben sind. Lustigerweise gibt es auch hier einen vermeintlichen Abkömmling des Kaiserhauses: Die Tochter des alten Hutmachers Franz Josef Kaiser soll »die Frucht der Liebessünde aus dem Drama von Mayerling« sein. Man schreibt das Jahr 1931 und es gibt schon erste Übergriffe auf Juden, die allerdings eher achselzuckend hingenommen werden: »Mein Gott, ein paar Juden.« Nur wenigen Hellsichtigen ist bewusst, was das bedeutet: »Heut sind die Juden dran. Und morgen?« Auch einen Krieg halten die meisten für unmöglich – und man kann die Argumentation durchaus nachvollziehen: »Als ob es je wieder Krieg geben könnte in diesem armen ausgebluteten Europa. Wer sollte diesen Krieg denn führen? Die Arbeitslosen gegen Arbeitslose? Die Bettler gegen Bettler? Tanks und Kanonen lassen sich nicht aus Papier erzeugen, so wie das Geld, das keinen Wert mehr hat. Ganz abgesehen davon, daß Erkenntnis und Vernunft doch immerhin so weit gedrungen sind – «
Auch in Leben verboten! findet sich eine integre, überaus positiv gezeichnete jüdische Figur: der gutmütige, kluge Professor Frey. Und er weiß, wo der Krieg ist: »Er ist, einstweilen noch, ins Hinterland gezogen, versteckt sich in Wirtshauskellern und Versammlungssälen. Seine Meldereiter sind Attentäter, Abenteurer und Verschwörer. Sie predigen das Evangelium der Ausrottung des Nächsten. Das ist ein sehr verlockendes Evangelium in einer Zeit, in der es zu viele Menschen und zu wenig Arbeit gibt.« Wer nicht arbeite, solle also auch nicht essen, fragt Ufermann nach. Oder verhungern, antwortet Frey und fährt fort: »Oder sonst wie aus der Welt geschafft werden. Es gibt ja allerlei Methoden. Das Menschenleben hat jeden Wert verloren, man kennt dafür jetzt nur mehr einen Preis.« Letztlich ist es das, wovon Leben verboten!, hinter all den Kriminalgeschichten, der Kolportage, erzählt: Der Nationalsozialismus breitete sich aus, weil es nicht nur möglich, sondern fast schon geboten war, zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben zu unterscheiden.Nicht nur inhaltlich, angesichts der klarsichtigen Analyse der politischen und sozialen Verhältnisse, ist Leben verboten! ein herausragender Roman. Er ist es auch aufgrund der literarischen Qualität: Souverän konstruiert und mit expressionistischen Akzenten zeichnet Lazar, fortwährend die Perspektive wechselnd, zwischen auktorialer Rede, inneren Monologen und schnell wechselnden Gesprächssituationen springend, ein plastisches Sittenbild. Und an dieser Stelle erschrickt man noch einmal. Darüber nämlich, dass eine stilistisch wie inhaltlich so bemerkenswerte Autorin so lange in Vergessenheit geraten konnte. Dabei sah es zu Beginn nicht unbedingt danach aus: Die 1895 geborene Lazar entstammte einer großbürgerlichen, jüdischen Wiener Familie, hatte Kontakt mit zahlreichen illustren Künstlern wie Adolf Loos, Hermann Broch oder Oskar Kokoschka. In den frühen Zwanzigerjahren schrieb sie nicht nur für Wiener, sondern auch für skandinavische und Schweizer Zeitungen, hatte unter dem Pseudonym Esther Grenen erste literarische Erfolge. Dann kam Hitlers Machtergreifung. 1933 verließ sie zusammen mit ihrer Tochter Österreich, sie flüchteten zuerst (gemeinsam mit der Familie Bert Brechts) nach Dänemark, später nach Schweden. 1948 nahm sie sich, an einer unheilbaren Krebserkrankung leidend, das Leben. Lazars Werke erfuhren in den Nachkriegsjahren keine Wiederauflage, über sie selbst wurde keine Biografie geschrieben. Johann Sonnleiter, der auch jeweils die ausführlichen Nachworte geschrieben hat, ist es zu verdanken und nicht hoch genug anzurechnen, dass neben dem Erstling Die Vergiftung (1920) und den Eingeborenen von Maria Blut nun auch ihr Hauptwerk zugänglich ist. Man kann nur hoffen, dass ihre Bücher zahlreich gelesen werden. An Aktualität mangelt es ihnen ganz gewiss nicht.
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