Dulden, Leugnen, Entpolitisieren

von Robert Andreasch

Foto: ISTVAN BAJZAT / EPA

40 Jahre nach dem rechtsextremen Attentat auf das Münchner Oktoberfest sind viele Fragen offen. Verbindungen gab es auch nach Österreich.


2600 wörter
~11 minuten

Am Nachmittag des 26. Septembers 1980 fuhr der 21-jährige Student Gundolf Köhler von Donaueschingen nach München. Mehrere Zeugen sahen ihn am Abend in der Nähe des Eingangs zum Münchner Oktoberfest auf der Theresienwiese in Kontakt mit weiteren Männern. Um 22.19 Uhr legte Köhler eine Bombe in einen Drahtgitterpapierkorb am Haupteingang zur »Wiesn«. Die Bombe war eine Konstruktion aus einer britischen Mörsergranathülle und der CO2-Treibgasflasche eines österreichischen Handfeuerlöschers, die mit 1,4 kg TNT oder einem ähnlichen gewerblichen Sprengstoff gefüllt war. Sie explodierte, als Köhler noch in direkter Nähe stand. Die Metallteile des Sprengkörpers und des Papierkorbs verstärkten die tödliche Wirkung. Zwölf Oktoberfestbesucher starben sofort oder in den folgenden Tagen, 221 wurden verletzt. Auch Köhler kam bei der Detonation ums Leben. 

Seit seiner Jugend war Gundolf Köhler in neonazistischen Vereinigungen aktiv gewesen, unter anderem in der NPD und der Wiking-Jugend. Als Student betätigte er sich zudem im extrem rechten Hochschulring Tübinger Studenten, einer Scharnierorganisation zwischen Neonazis und denjenigen, die eine bundesweite Ausdehnung der konservativen CSU anstrebten. Spätestens ab dem Jahr 1976 stand er mit der Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG), der 300 bis 400 Männer und Frauen umfassenden paramilitärischen Truppe Karl-Heinz-Hoffmanns, in engem Kontakt und nahm mindestens zweimal an ihren »Übungen« teil. Die WSG hatte ein einschlägiges »Manifest« zur Grundlage, in dem es unter anderem hieß: »Alle Lebensbereiche dieser Erde beherrschen entweder rote Funktionärsgruppen, Zyniker der Macht, oder korrupte Marionettenregierungen der internationalen Hochfinanz.« Politische Ziele würden niemanden in den Schoß fallen, sondern müssten erkämpft werden, »je höher das Ziel, umso größer die Opfer.«

Der rechte Terror im Jahr 1980 

Damals zog der rechte Terror eine blutige Spur durch Westeuropa. Am 2. August 1980, wenige Wochen vor dem Oktoberfestattentat, hatten Neonazis im Wartesaal des Hauptbahnhofs von Bologna eine Bombe gezündet. 85 Menschen starben, mehr als 200 wurden verletzt. Bis heute wird diskutiert, ob es sich bei diesem Attentat um die Fortsetzung der sogenannten Strategie der Spannung handelte, mit der Neonazis und Geheimdienstmitarbeiter in Italien in den 1960er und 1970er Jahren durch tödliche Anschläge unter »falscher Flagge« versuchten, der KPI und der radikalen Linken zu schaden. Am 22. August 1980 hatten Neonazis der Deutschen Aktionsgruppen bei einem Anschlag in Hamburg die aus Vietnam stammenden Geflüchteten Nguyê˜n Ngo.c Châu und Đô˜ Anh Lân ermordet. Und am 3. Oktober 1980 starben bei einem bis heute unaufgeklärten Bombenanschlag auf eine Synagoge in Paris vier Menschen. Zu diesem Anschlag bekannte sich die Organisation Europäische Nationalistische Gruppen.

Zum Zeitpunkt des Oktoberfestanschlags lief in Deutschland die Endphase des Wahlkampfs zur Bundestagswahl am 5. Oktober. Der CSU-Rechtsaußen Franz Josef Strauß konkurrierte von München aus für die Unionsparteien mit dem Sozialdemokraten und Amtsinhaber Helmut Schmidt. Am Tag nach dem Anschlag wetterte der autoritäre Strauß gegen Schmidts Innenminister Gerhart Baum von der FDP und schob die Verantwortung für den Anschlag den Linken und Liberalen in die Schuhe: »Herr Baum hat schwere Schuld in zweierlei Hinsicht auf sich geladen. Erstens durch die ständige Verunsicherung und Demoralisierung der Sicherheitsdienste, die sich ja heute nicht mehr trauen, im Vorfeld aufzuklären und den potenziellen Täterkreis festzustellen. Zweitens durch die Verharmlosung des Terrorismus.« Nun war es allerdings genau jener Bundesinnenminister Gerhart Baum gewesen, der – gegen den heftigen Widerstand von Strauß und dessen bayerischen Innenminister Gerold Tandler – im Januar 1980 die Wehrsportgruppe Hoffmann verboten hatte. Strauß geriet in die Defensive, seine Kanzlerambitionen kurz vor der Wahl in Gefahr. Ablenkung versprach ein Manöver des Staatsschutzchefs im bayerischen Innenministerium, Hans Langemann. Dieser verriet befreundeten Journalisten den Namen Gundolf Köhlers und dessen Herkunftsort. Die Journalisten waren so noch vor den Ermittlern in Donaueschingen unterwegs. Durch ihre Befragungen vor Ort und spätestens durch die folgenden Medienveröffentlichungen wurden eventuelle Mittäter gewarnt, konnten sich gegebenenfalls absprechen und Asservate verschwinden lassen. Bei der Bundestagswahl verloren CDU und CSU schließlich Stimmen. Helmut Schmidt blieb Kanzler der Bundesrepublik. 

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