Epos für eine Widerständige
von Paula Pfoser
EUR 22,70 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 29,50 (CH)
We don’t need another hero« – Tina Turners All-Time-Hit feiert dieser Tage sein 35-jähriges Jubiläum und seine Botschaft gilt, zumindest in progressiven Kontexten, noch immer: Helden und Heldenerzählungen sind mit Skepsis zu betrachten. Für Anne Weber war das allerdings kein Hinderungsgrund; sie hat in ihrem neuen Roman sogar noch eins draufgesetzt: Für Anette, ein Heldinnenepos wählte die deutsche Autorin die vermeintlich aus der Zeit gefallene Gattung des Epos. Wer an Epos denkt, denkt vielleicht an das Nibelungenlied, an Dante Alighieris Göttliche Komödie oder an Lateinstunden in der Schule, in denen sich Lehrerinnen vergeblich bemühten, ihren Schützlingen Ovid schmackhaft zu machen. Eine behäbige Angelegenheit also? Nein, ganz und gar nicht – gerade wegen dieser ungewöhnlichen Form haben wir es mit einem echten Glücksfall von Buch zu tun. Mit beeindruckender Sprachgewandtheit macht sich Anne Weber die Versform und die getragene Sprache des Epos zu eigen, um aus dem Leben der Französin Anne Beaumanoir zu erzählen.
Die heute 96-jährige Annette Beaumanoir war kommunistische Résistance-Kämpferin und Unterstützerin des algerischen Widerstands. Ihre Geschichte wird chronologisch aufgerollt: Annette wächst in einem Fischerdorf in der Bretagne auf, ehe sie sich mit 17 der Résistance gegen die deutschen Besatzer anschließt. Sie erledigt Botendienste, arbeitet als Spitzel und rettet eigenmächtig eine jüdische Familie – entgegen den Vorgaben der Organisation, die keine Alleingänge vorsieht. Nach 1945 baut sie sich als Neurophysiologin und Mutter von zwei Söhnen eine bürgerliche Existenz auf, die jedoch nicht lange währt: Als die, wie es heißt, »Ereignisse« einsetzen, die 1999 erst den Namen Algerienkrieg bekommen, wird Annette für die Befreiungsfront FLN Kofferträgerin. Sie wird verhaftet und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, woraufhin sie nach Tunis flieht und über Umwege erst Jahre später wieder nach Frankreich zurückkehrt.
Dieser kämpferischen Frau ein literarisches Denkmal zu setzen, gelingt Anne Weber mit großer Leichtigkeit und dem richtigen Ton: Distanziert, aber klar positioniert erzählt sie vom Leben der schließlich als Gerechte unter den Völkern-Geehrten. Nüchtern schildert sie den unglamourösen Kampf im Widerstand (stundenlange Reisen in stickigen Zügen) und zeigt sich angesichts der Illusionen, die Annette sich macht, nie politisch besserwisserisch.
Am meisten beeindruckt jedoch der freie Umgang mit der Versform, der viel Platz für Hochpoetisches, Schnörkelloses (»Tod. Folter. Aprikosen. Dazwischen: Nichts«) sowie für leisen Humor (»Kleine Abschweifung. Pardon«) lässt und der geschichtspolitisches Gespür mit Rhythmusgefühl verbindet, indem etwa Nebenfiguren kleine Gedenkmomente verschafft werden (»Hier dieser weiße Grabstein aus Papier soll ihren Namen, ihre Lebensdaten tragen«). Keine Angst also vor den unregelmäßig langen Zeilen! Nach wenigen Seiten fließt die Geschichte leicht dahin und lässt einen so schnell nicht mehr los.
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