Seit 75 Jahren bietet das Europäische Forum Alpbach eine sommerliche Bühne für Austausch und Vernetzung vor alpiner Kulisse. Als Zentralgestirn der öffentlichen Sphäre Österreichs ist ihm, hegemonietheoretisch betrachtet, alles gelungen, was ein intellektuell-politisches Projekt erreichen kann: die eigene bürgerlich-elitäre Parteilichkeit vergessen zu machen und in der Gesellschaft als normale und neutrale Mitte zu gelten, ja beinahe als sommerfrischelnd-intellektuelle Außenstelle der Republik während des Sommerlochs. Der Ökonom und regelmäßige Autor des Wiener Tagebuch Theodor Prager wusste es schon vor 36 Jahren besser.
Theodor Prager
Jahrmarkt der Eitelkeiten
Eine treffende Bezeichnung für Alpbach, nicht wahr? Wie wohl jeder zugestehen wird, der je dabei war. Oder auch nur die ganzstündige Sendung von FS1 und FS2 über diesen angeblichen ›Brennpunkt‹ über sich ergehen hat lassen. Wer sich dort alles drängt, um dabei und ›im Bild‹ zu sein! Nun, es fällt mir gar nicht ein, die einschlägigen Namen auch noch im WTB aufzuzählen. Ich möchte aber, so viel Eitelkeit ist ansteckend, ich möchte also vermerken, die Charakterisierung stammt von mir, es war die Antwort auf die Frage einer befreundeten Reporterin, vor vielen Jahren draußen in Alpbach, was ich von dem ganze Getriebe hielte. »Vanity Fair«, sagte ich, in Anlehnung an W.M. Thackeray, und sie brachte das dann als Titel ihrer übrigens glänzenden Reportage in der »Krone«, deutsch natürlich. Was nicht ausschließt, daß auch andere, unabhängig von mir, auf die Idee gekommen sein mögen.
[…]
Vorhut des neuen Europas, geistiges Zentrum Europas, Bekenntnis der europäischen Intellektuellen zu Europa, geistige Einigung Europas. […] Diskussion und Dialog, Freiheit und Toleranz, Kontinuität und Konflikt, Wege und Irrwege … Wer da noch nicht ganz benommen ist, dem ist nicht zu helfen. Zwischendurch die diversen Größen, einmal brav auf Schulbänken, dann ganz locker im Grünen, einmal bei Speck und Schnaps, dann wieder am Tennisplatz […], Doppelconférence Hayek–Sir Karl, dann wieder Popper–Lorenz, schön, warum nicht, aber was ist daran so einzigartig – […] das gibt’s doch ständig an dutzenden Punkten in Europa und anderswo […]. Wobei sie, diese Begegnungen, selten einen so unverfälscht, um nicht zu sagen unverschämt elitären und Establishment-Charakter haben wie dieses Alpbach. Einmal Ernst Bloch, das tut ihnen nicht weh; ansonsten überwiegend radikale Konservative oder zum Konservatismus diverser Spielarten bekehrte Paradelinke, als Linke gar nicht so Parade aber dafür jetzt, als Bekehrte … Gewiß, mit den Jahren (Jahrzehnten, Gott sei’s geklagt) auch so manche brave Sozialdemokraten. Aber wie oft (wenn überhaupt), hat man einen Robert Jungk eingeladen oder auch einen Friedrich Heer, einen Engelbert Broda, einen Eric Hobsbawm oder gar einen Ernesto Cardenal, gar nicht zu reden von den Russel und Sartre dieser Welt, die es immerhin lange genug ›gab‹, um sie herüberzubitten. Und zwar […] in einer solchen Folge und Kontinuität, daß die dominanten Adabeis gezwungen gewesen wären, sich wirklich mit Herausforderungen und Alternativen auseinanderzusetzten?
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