Forellenfischen in Österreich
von Jana Volkmann
EUR 28,80 (AT), EUR 28,00 (DE), CHF 35,60 (CH)
Schenkt man der Philosophin Oxana Timofeeva (The History of Animals) Glauben, stehen Fische mehr als andere Tiere für Immanenz. Sie schwimmen im Wasser umher und scheren sich um nichts anderes. Ganz anders die Menschen, die sich in Leander Fischers Romandebüt darum bemühen, im Auf- und Abtauchen hungriger Fischmäuler die »fängigsten« Muster zu erkennen: Welche Fliegen locken am zuverlässigsten Fische an?
Wenn Leander Fischer beschreibt, wie die Nymphen gebunden werden – filigrane Köder, die Insektenlarven nachahmen, die natürliche Beute der Fische also –, kommen sie einem unweigerlich wie Kunstwerke vor, nicht wie Gebrauchsgegenstände. Das klingt betulich, hat aber Abgründe, das lernt man gleich auf den ersten Seiten dieses ausufernden Romans. Katzenbabys wird zur Materialgewinnung das Fell abgezogen. Davor werden sie ertränkt, das ist die sauberste Tötungsmethode. Siegi Heehrmann, Fischers Protagonist, verarbeitet auch das Haar einer Frau in seinen Ködern. Mit einer goldenen Nagelschere schneidet er seiner Herbergsgeberin Nina splissfreie Strähnen ab. Siegi ist wie besessen von Ninas Haar – ein Fetisch, eine erotische Obsession? Oder einfach eine Handlung, die gut in eine Welt passt, in der man sich dem höheren Ziel unterordnen muss?
Siegi hatte einmal Aussichten auf eine glänzende Musikerkarriere. In Salzburg studiert wie ein richtiger Virtuose, dann als Musikschullehrer in der oberösterreichischen Provinz gelandet. Die Kränkung wird nicht kleiner dadurch, dass seine Frau einen Doktortitel hat und vom Dorfschönling Volki umschwärmt wird. Im Fliegenfischen ist er Anfänger, er lernt es mit der Hingabe, die er sich von seinen Musikschülern und -schülerinnen nur wünschen kann, von Ernstl, einem grantigen Säufer mit zittrigen Händen. Für seine Familie hat Siegi eher wenig übrig. Die Söhne Lukas und Johannes wirken wie Fremde.
Die Fische dürfen entwischen oder werden wieder freigelassen. Das seien »Reparationszahlungen an die Wildnis«, heißt es an einer Stelle im Buch, »unsere Art, es wiedergutzumachen«. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und die Kontinuität von Geschichte, ihr in die Gegenwart fortwirkendes Echo, sind die großen Motive dieses großen Romans. Ein anderes ist der Eingriff des Menschen in die Natur. Zeitlich verorten lässt der Text sich in den späten 1980er Jahren, spätestens, als von Waldheim und Waldsterben die Rede ist, oder von der drohenden Zerstörung der Hainburger Au.
Leander Fischer wurde für einen Auszug aus Die Forelle 2019 beim Bachmann-Wettbewerb mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet. Er sagte Monate vor Erscheinen des Romans, sein Manuskript habe an die 1.000 Seiten, müsse vor der Veröffentlichung noch um ein Viertel gekürzt werden. Das ist geschehen und Die Forelle hat dabei nichts an Komplexität eingebüßt, selbst die Nebenfiguren sind so charismatisch, dass sie wie lebendig wirken: Menschen mit biografischen Sollbruchstellen und über eine Lebensspanne akkumulierten Enttäuschungen, Hoffnungen, Vorstellungen von Richtig und Falsch. Die dörflich-bürgerliche Ordnung, die jeden Samstag in Form einer Schlange vor Kurtis Fleischerei manifest wird, sprengt schließlich Franzi. Die junge Frau läuft einfach an der Schlange vorbei und fragt nach einem Job. So lange, bis sie ihn bekommt. Der Habitus der Figuren drückt sich auch in ihrer jeweiligen Sprache aus. Die eigentümliche Schönheit des Fliegenfischerjargons etwa ist ein Beispiel dafür, dass Die Forelle nicht nur inhaltlich viel wagt, sondern auch stilistisch herausragt.
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