Das Trump-Paradox

von Ingar Solty

Illustration: Dani Maiz

Dass Kamala Harris bei der US-Wahl den Sieg holen wird, ist keineswegs ausgemacht. Klar ist dagegen: Die Ursachen dafür, dass Donald Trump überhaupt wieder im Rennen ist, sind hausgemacht.


4003 wörter
~17 minuten

Die Aussicht, dass Donald Trump nach den Jahren 2017 bis 2021 tatsächlich ein weiteres Mal ins Weiße Haus einziehen könnte, ist Anlass, daran zu erinnern, wie seine erste Präsidentschaft überhaupt möglich wurde. Schließlich haben sich die gesellschaftlichen und politischen Ursachen bis heute kaum geändert. Trumps Wahlsieg erfolgte 2016 nicht nur gegen den Widerstand der republikanischen Elite, sondern auch gegen den eines Großteils der Medien und der Fortune-500-Konzerne, also der umsatzstärksten Unternehmen der Vereinigten Staaten. Die Gegnerschaft zu Trump hatte Gründe: Im Wahlkampf hatte er mit dem parteiübergreifenden Elitenkonsens gebrochen und einen wirtschaftsnationalistischen und vor allem außenpolitisch isolationistischen Kurs versprochen. Die Infragestellung des »Empire« war für diese Kräfte ein No-Go.

Trumps Sieg symbolisierte einen Kontrollverlust der transnational-imperialen Kapitalfraktion, die im Machtblock dominierte und nach wie vor dominiert. Möglich wurde er durch eine brutale Repräsentationskrise. Die Zustimmungswerte hinsichtlich sämtlicher Institutionen der Politik, vor allem des Kongresses, erodierten nach der globalen Finanzkrise von 2007ff in historischem Ausmaß. Die US-Politik ist seither geprägt von einem populistischen Klima, das sowohl von rechts als auch von links bedient wird. In diesem Klima konnte sich Trump erfolgreich als Anti-Establishment-Kandidat inszenieren. Die Legitimationskrise machte 2016 ein doppeltes Novum möglich: Während bei den Demokraten die linkssozialdemokratische Graswurzelrevolte von Bernie Sanders entstand und erst durch die Machenschaften des Parteiapparats zum Scheitern gebracht werden konnte, gelang es der wütenden Basis der Republikaner bei deren Vorwahlen nach Jahrzehnten erstmals wieder, ihren präferierten Kandidaten – in diesem Fall Trump – gegen den erklärten Willen der Parteielite durchzusetzen. Dabei blieb es nicht, am Ende konnte er sogar Präsident werden – völlig entgegen mainstream-politikwissenschaftlichen Gewissheiten, wonach zu »ideologische« Kandidaten in Zweiparteiensystemen notgedrungen verlieren müssten, wie etwa der Rassist und Radau-Antikommunist Barry Goldwater 1964 oder der linke George McGovern 1972.

Warum es 2016 anders kam, hatte zweifelsohne sozioökonomische Gründe, die in der Politik von Trumps Vorgänger Barack Obama zu suchen sind, der als Exit-Strategie aus der globalen Finanzkrise einen Kurs der »inneren Abwertung« von Kosten und Löhnen, also eine klassische Austeritätspolitik verfolgte. Unter Obama wurden im Namen der Wettbewerbsfähigkeit die Löhne für neue Beschäftigte in der notverstaatlichten Autoindustrie halbiert. Seine zögerliche Fiskalpolitik führte dazu, dass die Einkommens- und Vermögensungleichheit, die Prekarität am Arbeitsmarkt und die Zahl der Bullshit-Jobs massiv anstiegen: Nach einer Studie der US-Notenbank Fed lag in jenen Jahren jeder fünfte verlorene Job im Niedriglohnsektor, unter den neu entstandenen war es dagegen jeder dritte. Im Ergebnis wuchs die Zahl derer, die seither – einer weiteren Studie der Fed zufolge – von »paycheck to paycheck« leben, die also über keinerlei Ersparnisse verfügen, um auf Eventualitäten wie Arbeitslosigkeit, Krankheit, Arbeitsunfähigkeit, Zinserhöhungen für Immobilien oder Studienschulden, Inflation oder die Geburt eines Kindes zu reagieren, auf über 40 Prozent an.

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