Fallen der falschen Rebellen
von Andreas Kranebitter
EUR 24,70 (AT), EUR 24,00 (DE), CHF 33,90 (CH)
In Zeiten des Corona-Rebellentums, in denen unterschiedlichste Gestalten im Modus der Rebellion gegen ein »System« anrennen, trifft ein Buch über autoritäre Rebellen den Nerv der Zeit. Die Figur des konformistischen Rebellen, der alles ändern will, um nichts zu ändern, der psychoanalytisch eine Ersatzbefriedigung erlebt, weil der freigesetzte und freischwebende Hass lustvoll auf outgroups projiziert wird – diese Figur beschäftigt die Kritische Theorie seit Erich Fromms und Theodor W. Adornos Arbeiten aus den späten 1930er und frühen 1940er Jahren.
Die fast 30 Autorinnen und Autoren des Bandes starten ihre Auseinandersetzungen mit dem autoritären Charakter der Gegenwart denn auch mit einer Relektüre der theoretischen und empirischen Schriften des exilierten Instituts für Sozialforschung, die in den Studien über Autorität und Familie und vor allem in The Authoritarian Personality eine bis heute faszinierende Fusion von Psychoanalyse, Sozialpsychologie und Sozialforschung vorantrieben. Einige der Beiträge aktualisieren vergessene Einflüsse und Marginalien der Kritischen Theorie, etwa wenn sich Lars Rensmann auf Leo Löwenthals meist prominent ignorierte Schriften bezieht oder Ingo Elbe in einem programmatischen Aufsatz Fromms Theorie der Pseudorebellion detailliert rekonstruiert.
Leider geht die Auseinandersetzung mit den Werken der frühen Kritischen Theorie selten so tief, und auch die mit neuen Phänomenen des Autoritären sind überraschend oberflächlich. Aktuelle Debatten (oder gar empirische Forschungen) bleiben meist vage angedeutet, ein paar vorangestellte Lektüreverweise werden als Freibrief für ein quellen- und materialloses Ad-hoc-Philosophieren über AfD, FPÖ oder gar die Piratenpartei genommen, das schnell banal wird und sehr deutsch (und antideutsch) bleibt. Es verwundert, dass gerade der internationale Kontext sowohl in der vergangenen Theoriebildung als auch im empirischen Heute selten Gegenstand der Debatte ist. Und es werden ärgerliche und altbekannte antideutsche Klischees gepflegt. Wenn Enrico Pfau etwa davon phantasiert, dass »kollektiv mehr oder weniger direkt und bewusst an der zweiten (End-)Lösung gearbeitet« würde, oder Samuel Salzborn meint, dass die »Wiederholung [des Holocaust] in der Gegenwart vor allem vom islamischen Antisemitismus erstrebt wird«, möchte man die Autoren polemisch daran erinnern, dass man an destruktiven Projektionen autoritäre Charaktere erkennt.
Christine Kirchhoff zeichnet zwar sehr überzeugend nach, wie so manche Rechtsextremismusforscherin mit Rechtsextremen über deren Opfer zu lachen beginnt, erhebt aber die Strategie, nicht mit Rechten zu reden, zur Forschungsmaxime – bloß, wie will man denn sozialwissenschaftlich zu autoritären Charakteren forschen, wenn man nicht mit ihnen redet, wie Morits Neumann und Oliver Nachtwey zu Recht einwerfen?
Von den vielen mäßigen Artikeln heben sich einige ab, die mit Erkenntnisgewinn gelesen werden können – dort, wo eigene Forschung eingebracht oder eine Verbindung zur Forschung außerhalb der engen Adorniten-Bubble hergestellt wird, etwa bei Liljana Radonić, die das Geschlechtsspezifische an den Projektionen autoritärer Charaktere untersucht, Tom Uhligs Interpretation linker Autoritarismen wie dem Projekt Aufstehen oder den Nachdenkseiten, oder eben Neumanns und Nachtweys Theoretisierung ihrer Interviews mit »rebellischen« AfD-Unterstützern.
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