Cholera, Pest und der sozialistische Tod

von Richard Schuberth

Illustration: Lea Berndorfer

Die Influenza wird in der Corona-Pandemie gern zu Verharmlosungszwecken herangezogen. Dabei ließe sich aus dem Vergleich durchaus Wichtiges lernen.


438 wörter
~2 minuten

Als die hohen Opferzahlen der Grippewelle von 2017/18 noch nicht von denen der Corona-Pandemie abgehängt waren, fragten viele sich, warum denn nicht schon vor drei Jahren die medialen und politischen Alarmglocken geläutet wurden. Den durchaus richtigen Fragen folgten falsche Antworten. Der Tod durch die vertraute, längst ins Alltagsbewusstsein eingemeindete Grippe wurde zur Referenz für die Verharmlosung von Sars-CoV-2. Schicksalsergeben akzeptierte man Übersterblichkeit also schon vor Corona als Tribut an die Natur. Denn die Pest werde schon nicht schlimmer sein als die gute alte Cholera, so schien sich solch sozialdarwinistisch verrohtes Bewusstsein zu beruhigen.

Schon in jenem Winter siechten Grippepatienten auf Krankenhausgängen dahin oder wurden nach dem Motto: Frage nicht, was das Gesundheitssystem für dich tun kann, sondern was du für es tun kannst, zu Hause zum Sterben gebettet. Nie wird sich eruieren lassen, wie viele Grippetode sich hätten vermeiden lassen, wenn der Gesundheitssektor nicht seine neoliberale Transformation erfahren hätte: durch die höchst ungesunde Synergie von Fallpauschalen, Abbau des Pflegepersonals, Privatisierungen, Börsengängen oder aber konkret die Verweigerung der teuren Vierfachvakzine, die einen besseren Schutz gegen die mutierten Influenzastämme hätten bieten können als die von den Krankenkassen finanzierten Impfstoffe. 

Natürlich bedeutet die Akzeptanz des Unausweichlichen, unserer Endlichkeit, nicht zwingend einen Rückfall in Barbarei und Naturrechtslehre. Barbarei jedoch ist die willfährige Unterwerfung unters Profitgesetz. Ihr könnt nicht ewig leben, prahlen die Abgeklärten mit ihrer Abgeklärtheit, und vergessen dabei, dass Reiche um eine winzige Spur ewiger leben können als Arme. 

Zivilisation bedeutet nicht, den Tod zu besiegen, sondern ihm so viel Leben abzutrotzen, wie es unsere jeweiligen wissenschaftlichen und politischen Möglichkeiten erlauben. Das hieße auch bei schweren Grippewellen, alle nichtbiologischen, also gesellschaftlichen Faktoren zu eliminieren, die sich als Mutter Natur ausgeben. Das zu bewerkstelligen ist aber ein nach Marktgesetzen gemanagter Gesundheitsbetrieb nicht in der Lage. Und gar nicht, weil Kapitalisten zwingend intentionale Mörder sind; selbst im kuscheligen keynesianischen Büßerpyjama bleiben sie letztlich Laufburschen von Profit und Dividende. Und die Demarkationslinie zwischen Lebensrettung und Palliativmedizin verläuft auch für sie nicht zwischen Zivilisation und Natur, sondern zwischen Gewinn und Verlust. 

Versöhnung mit der Natur hieße auch, den Tod zu befreien von falscher Natur, als welche sich die strukturelle Inhumanität des Konkurrenz- und Profitprinzips ausgibt. Langer Rede kurzer Sinn: Wir werden um den Sozialismus nicht herumkommen. Und den Tod davon zu entlasten, seine Opfer vor dem Sensenstreich immer auch nach Versicherungsdaten und Einkommensbescheid fragen zu müssen, was nicht in seiner Natur und schon gar nicht in der Natur der Natur liegt.

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