Das nächste Monster kommt bestimmt

von Asad Haider

Illustration: Lea Berndorfer

Joe Biden verspricht eine Rückkehr zur Normalität in den USA. Doch diese Perspektive gibt der amerikanische Kapitalismus nicht her.


904 wörter
~4 minuten

Was bleibt von Donald Trumps Präsidentschaft? Wir werden wohl noch Jahre brauchen, um zu verstehen, ob und wie nachhaltig Trump die US-amerikanische Politik verändert hat, wie seine gefährliche und zugleich inkompetente Regierung die Strukturen des Staates transformiert und welche Dynamiken in der Wahlbevölkerung er genau repräsentiert hat. Noch während seiner Präsidentschaft ist eine Debatte darüber entbrannt, ob der Erfolg Donald Trumps und sein Verhalten im Amt gleichbedeutend mit dem Aufstieg des Faschismus in den USA seien. Nachdem einige seiner Anhänger am 6. Jänner das Kapitol gestürmt hatten, wurde diese Frage wieder lebhaft diskutiert und es wurde deutlich, dass sie sich mit dem Abschied Trumps aus dem Weißen Haus nicht einfach von selbst erledigen würde. Die Debatte krankt jedoch an Definitionsproblemen, schiefen historischen Analogien und empirischen Unsicherheiten. Timothy Snyder etwa, dessen Buch Über Tyrannei mehr persönlichen Augenkontakt und Small-Talk als Mittel gegen den Autoritarismus vorschlägt, meint, Trumps Nähe zum Faschismus aus dessen Gewohnheit zu lügen ablesen zu können. Solch vage Definitionen haben mit einer ernsthaften Analyse nichts zu tun. Sie spiegeln vielmehr einen liberalen Affekt der Empörung über Trumps Stil und seine Anziehungskraft auf eine imaginierte weiße Arbeiterklasse wider – eine Klasse, die für Intellektuelle gerne vom weißen Mann verkörpert wird, der Trucks und Waffen mag und Immigranten und Frauen hasst. 

Was in den Debatten häufig verloren geht, ist ein Verständnis für die Besonderheit der amerikanischen extremen Rechten. Im Gegensatz zum disziplinierten und militaristischen Kollektivismus des historischen Faschismus basiert sie auf einem einzigartigen Individualismus, der sich um die Verfassung, das Recht auf Eigentum und Waffenbesitz sowie das Misstrauen gegen »Big Government« dreht. Hinzu kommt, im Unterschied zu Europa, das Fehlen jeglicher organisierter sozialistischer Bewegung. Es mag möglich sein, einen breiteren Faschismusbegriff zu entwickeln, der auf grundlegenden, abstrakten Gemeinsamkeiten basiert: Betonung der nationalen und rassischen Identität, nihilistischer Wille zur Zerstörung, rabiater Antikommunismus. Aber der gegenwärtige Diskurs, der den Trumpismus als Faschismus darstellt, das heißt als ein dem amerikanischen Wesen fremdes und anachronistisches Ausnahmephänomen, verhindert ein angemessenes Verständnis davon, wie tief die extreme Rechte in die Institutionen, Ideologien und Kulturen der amerikanischen Demokratie eingebettet ist. Ein aufschlussreicher historischer Bezugspunkt sind vielleicht die frühen 1990er Jahre. Damals ging der Staat gegen extreme Rechte und Milizgruppen vor, was zu Belagerungen und bewaffneten Zusammenstößen in Ruby Ridge, Idaho und Waco, Texas führte. Die Verantwortlichen für den Bombenanschlag auf ein Regierungsgebäude in Oklahoma City, bei dem am 19. April 1995 168 Menschen getötet wurden, nannten diese Ereignisse als Tatmotiv und Grund für ihre Radikalisierung. Liberale, die heute nach drakonischen Strafen und Repression als Reaktion auf den »Aufstand« im Kapitol rufen, sollten wissen, dass einem solchen Vorgehen, historisch gesehen, meist weitere extremistische Gewalt folgte. Ganz zu schweigen davon, dass die Ausweitung staatlicher Repression und Überwachung sich früher oder später gegen jede soziale Bewegung wenden wird, die als Gefahr für den Status quo gilt.

»WER DEN TRUMPISMUS ALS FASCHISMUS DARSTELLT, ALS EIN DEM AMERIKANISCHEN WESEN FREMDES AUSNAHMEPHÄNOMEN, VERHINDERT EIN VERSTÄNDNIS DAVON, WIE TIEF DIE EXTREME RECHTE IN DIE INSTITUTIONEN, IDEOLOGIEN UND KULTUREN DER AMERIKANISCHEN DEMOKRATIE EINGEBETTET IST.«

Die Bedingungen im Europa der Zwischenkriegszeit, aus denen der Faschismus hervorging, ähneln nicht im Entferntesten denen in den heutigen Vereinigten Staaten. Worum es in den aktuellen Debatten wirklich geht, sind die politischen Konsequenzen. Wenn Trump und der Trumpismus eine so außergewöhnliche faschistische Bedrohung darstellen, muss sich die Öffentlichkeit mit ihrer Kritik am neoliberalen Establishment der Demokraten dann nicht besser zurückhalten? Sind Forderungen nach weitreichenden Reformen im Gesundheitswesen und bei den Sozialleistungen nicht töricht im Angesicht der Bedrohung durch faschistische Bewegungen auf der Straße? Wobei es unabhängig davon, ob der Grad der Beunruhigung gerechtfertigt ist oder nicht, eine Tatsache bleibt, dass Trumps Aufstieg nach acht Jahren der Regierung Obama kam. Das legt nahe, dass der neoliberale Status quo kein wirksames Mittel ist, um solche Ergebnisse zu verhindern.

Joe Biden repräsentiert diesen Status quo. Er ist ein biederer Politiker der Mitte mit inkonsistenten kognitiven Fähigkeiten, der vom Glanz Barack Obamas profitiert. Mit einem Schachzug, der nicht die Wählerschaft, sondern die liberalen Medien überzeugen sollte, die sich mehr mit den Identitäten der Kandidaten als mit ihrer politischen Agenda befassen, bestimmte er Kamala Harris als Vizepräsidentin. Als schwarze Frau kommt sie dem liberalen Wunsch nach Vielfalt entgegen, sie verkörpert aber alle Widersprüche der zeitgenössischen Identitätspolitik. Als Generalstaatsanwältin von Kalifornien repräsentierte sie schließlich genau den »Carceral State«, den staatlichen Komplex von Gefängnisindustrie und Polizeirepression, gegen den die Black-Lives-Matter-Bewegung im Sommer aufbegehrt hat.

Die Biden-Regierung verspricht eine Rückkehr zur Normalität. Vielleicht bringt sie einige Verbesserungen im Bereich der öffentlichen Gesundheitsversorgung und der sozialen Sicherungssysteme, vielleicht aber auch nicht. Normalität ist nicht in Sicht. Die Folgen der Pandemiekrise, der sich beschleunigenden ökologischen Krisen und die obszöne Einkommensungleichheit werden die Nation, ja, den ganzen Planeten, weiter in Richtung Katastrophen epischen Ausmaßes treiben. Eine demokratische Regierung mag weniger gefährlich sein – oder für manche zumindest weniger anstößig – als Trumps seltsame, toxische Amtszeit. Aber die Gefahren, denen wir gegenüberstehen, sind nicht auf Trump beschränkt. Sie sind tief in den amerikanischen Kapitalismus eingebettet, der Monster aller Art hervorbringen wird. So lange, bis er gestürzt wird.

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