Jenseits der sozialen Welt

von David Auer

Von Lockdown-Schocker bis Covid-Komik: Allmählich kommen erste Spielfilme über das Leben mit dem Virus heraus. Genre-Ware und kauzige Kurzfilme zoomen auf den sozialen Alltag in Dauerquarantäne.


1989 wörter
~8 minuten

Kino und Corona, das ist mehr »Leiden unter« als »Filme über«. Unter Lockdowns leidet das Kino, nach und nach aber kommen Filme über coronisches Daheim-Festsitzen heraus. Kaum im Kino, meist im Netz. Dort halten Filme implizit einen Verweis auf etwas außerhalb vom Heim aufrecht: auf anonymes Sich-Versammeln in anderen, halböffentlichen Räumen ohne viel Renommee, um nichts Besonderes zu tun – sitzen, schauen, hören (mit Chips rascheln, schmusen). Serien fließen und sind »bei uns«: daheim, auf unseren Screens; Kino schneidet aus und ist »irgendwo«. Filme zeigen noch ein wenig in dieses Irgendwo: außerhalb von Privatraum, Pandemie-Alltagsmanagement und digitaler Heimausstattung.

Es geht um Öffentlichkeit im Sinn von Kontingenz: als (Zeit-)Raum, zusammengesetzt aus Auseinandersetzungen, in dem etwas möglich wird, das in herrschenden Verteilungs- und Identifizierungsregimes nicht vorgesehen ist. Wir befragen nun erste Filme »über Corona«, Spielfilme zum Thema Pandemie und Lockdown, danach, ob sie, zumal in Zeiten erzwungener Privatheit, Gesellschaft als etwas vermitteln, in dem Öffentlichkeit wirklich ist, zumindest hereinwirkt. Genrefilme in Sachen Big C und Long L also, sowie, als eine Art Kommentar zu ihnen, einige experimentelle/essayistische Kurzfilme zum Thema. 

Im September 2020 ging Quarantine Girl aus der US-No-Budget-Exploitation-Filmschmiede Cineridge online. Das Beziehungspsychodrama zeigt den Alltag einer jungen Alleinwohnenden (Nicole D’Angelo, auch Regie) im Reihenhaus-Lockdown und wurde unter ebendiesen Bedingungen gedreht. Vorwiegend als One-Woman-Show wird in etwa gezeigt, was auch »wir« im Lockdown so tun (sofern wir einiges an Arbeit ausblenden): kochen, essen, putzen, viele Zooms und wenige Besuche absolvieren, Versandpakete öffnen, uns halbnackt räkeln und insgesamt patschert sein. Dabei verfällt die Heldin, wie so viele Eingesperrte, einer Mischung aus Depression und Narzissmus. Ebenso billig wie plakativ setzt Quarantine Girl einen Nullpunkt an Realismus und Alltagsbezug. Dazu passt ein Kürzestfilm aus Wien: Siegfried Fruhaufs Distance Film zeigt vier Sekunden lang ein Maßband und erklärt per Insert, das entspreche zwei Meter 35mm-Film, also dem Mindestabstand in Covid-Öffentlichkeiten. Ein Nullpunkt von Film, ganz Material als Zeit- und Raummaß – samt Verweis auf eine Öffentlichkeit: auf Kino, wo vereinzelt noch Filme durch Projektoren laufen. Dazu wiederum enthält Quarantine Girl ein ebenfalls kurzes Komplementärbild: Als ihr Ex die Heldin in der Quarantäne besucht, hält sie ihn mittels Maßband exakt auf Distanz. Eine weitere strange Nahbeziehung scheint Quarantine Girl uns unversehens anzutragen: Im Abspann wird an Suizidpräventionsdienste, somit auch an Gesundheits-»Kosten« von Lockdowns, erinnert und danach diversen Institutionen gedankt, so auch der Cinequanon Humanities Foundation. Ein cinephiles Wortspiel; wie ist es gemeint? Als (conditio) sine qua non, also Voraussetzung, ohne die es, Kino, nicht geht? Oder als Chiffre für QAnon? Oder beides? Ohne QAnon geht’s nicht? Das gerade nicht, aber: Rechtes Branding ist »uns« oft näher als es scheint.

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