Das kleine Würstchen

von Stefan Schmitzer

Illustration: Lea Berndorfer

Die postapokalyptische Netflix-Serie »Tribes of Europa« kombiniert groteske Dialoge mit zweifelhafter Ideologie.


385 wörter
~2 minuten

Derzeit läuft auf Netflix die deutsche Produktion Tribes of Europa. Sie war Teil einer »deutschen Bestellinitiative«, ausgelöst durch den Erfolg der Serie Dark. Wie Dark ist Tribes of Europa unfreiwillig komisch, weil darin Fernsehdialoge nach Stadttheater klingen. Aber Dark ist zumindest vertrackt. Tribes nicht: Vom Standard-Plot aus ihrem »friedlichen Waldleben« gerissen, führen uns drei Point-of-View-Figuren durch kaum erklärungsbedürftige postapokalyptische Zivilisationen (SM-Faschos, das Römische Reich mit Marschflugkörpern usw.). Ausstattung, Drehbuch und Regie sind darauf aus, jenes (deutsche) Publikum anzulocken, das Game of Thrones mochte.

Interessant ist an Tribes das Update der Ideologie, die der Kulturindustrie-Apparat hervorbringt, wenn der Autopilot erst einmal auf »deutsche Qualitätsware« gestellt ist. Sagen Deutsch sprechende Figuren stets »tribe« statt »Stamm«, macht das niemandem was vor; schon gar nicht, wenn die Helden ausgerechnet dem »tribe« der »Origines« angehören – lausbübische Laubwald-Cherusker (und im Gegensatz zu den fiesen »Crows« garantiert hetero). Achtet auf die Implikationen der einzelnen Elemente niemand genau, bringt die deutsche Unterhaltungsindustrie so treuherzig wie »unpolitisch« eine Spielplatzversion von völkischem Anti-Imperialismus hervor. Der Vorspann der ersten Folge enthält in wenigen Zeilen alle dazu passenden Irrtümer über Staat und Politik und Beistrichsetzung: »2029 führte ein mysteriöser globaler Blackout zu Jahrzehnten von Chaos und Anarchie. Die Nationen […] verschwanden. Stattdessen formten sich […] Mikro-Staaten, mit eigenen Kulturen und Weltanschauungen. Dies sind die TRIBES.« Was »sich« da (von Geisterhand) »formt«, wird erstmal kein Staat sein; und die Kombination von Farbschema und Ahnenkult, auf die man alle Insassen einer Gesellschaft verpflichten kann, ist keine Weltanschauung. 

Die wohlmeinende Zuschauerin mag einwenden: Tribes of Europa, das ist doch nur harmloser Actionspaß. Dem steht der allererste Dialog der Serie entgegen: das Geplänkel einiger Jäger zum Thema Kastrationsangst, ausgelöst vom Gedanken an die (vermeintlichen?) Initiationsriten einer nebulösen Feindgruppe. »Bist nervös, hm? Musst keine Angst haben … Die Raider schneiden dir zur Initiation ganze Gliedmaßen ab.« – »So’n Quatsch.« – »Doch. Erst den linken Mittelfinger. Den Zeh vom rechten Fuß, eins deiner Ohren, und ganz zum Schluss dein kleines Würstchen.«

Tribes of Europa empfiehlt sich in diesem Sinne als Diagnosetool für den Geisteszustand all jener, die der Idee von Stämmen in Europa etwas abgewinnen können.

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