Linke Vorhölle
von Andrea Heinz
EUR 22,70 (AT), EUR 22,00 (DE), CHF 30,90 (CH)
Mit reißerischer Sensationsberichterstattung beginnt Shida Bazyars Drei Kameradinnen: Saya M., eine junge Frau aus R., hat sich angeblich radikalisiert, zieht »Allahu Akbar« rufend durch die Gegend und ist wahrscheinlich auch noch für einen Brand verantwortlich, einen »Jahrhundertbrand« sogar.
Ihre Freundin Kasih schreibt im Folgenden auf, was in den Tagen vor diesem Brand passiert ist. Sie erzählt von drei Freundinnen, Hani, Kasih und Saya, mit ihren Eltern vor namenlosen Kriegen geflüchtet und nach Deutschland gekommen, aufgewachsen in einer namenlosen Siedlung, zu der die Müllabfuhr sich weigerte zu fahren und irgendwann auch der Bus. Sie haben studiert, sind erfolgreich oder – im Fall von Kasih – arbeitslos. Soziologinnen, überhaupt Geisteswissenschafterinnen sind am Arbeitsmarkt nicht unbedingt gefragt. Nach Jahren treffen sich die Freundinnen nun wieder, in einer Stadt, in der Spätis eine bestimmende Rolle spielen und die auch sonst sehr den Eindruck macht, Berlin zu sein. Sie treffen sich dort, weil eine Bekannte aus der Siedlung heiratet, sie betrinken sich zusammen, sie gehen auf Hausbesetzerpartys (Berlin!) und sie diskutieren viel mit (weißen!) Menschen, mit Nazis, mit Rassistinnen, darüber, dass die es einfach nicht verstehen. Es ist vor allem Saya, die wütend ist, keine Ungerechtigkeit und keine Diskriminierung duldet, diese manchmal aber auch dort sieht, wo es vielleicht nur Missverständnisse oder Befindlichkeiten gibt.
Ein großer Prozess gegen eine rechtsterroristische Gruppe läuft gerade an, die stark an den NSU erinnert, jedoch vor allem muslimische Frauen ermordete. Saya steigert sich in diesen Prozesses hinein, verfolgt nächtelang Chats rechter Trolle im Internet und legt sich schließlich noch mit einem pseudointellektuellen Typen vom Antaios-Verlag an, neben dem sie zufällig im Flieger sitzt. Kurz: Sie ist ein bisschen besessen von Rechten (und Weißen, und Deutschland), ohne, das muss man leider auch sagen, dadurch nennenswert etwas auszurichten. Kasih und Hani versuchen, sie zu beschützen – und sich zu orientieren in einem immer undurchschaubarer werdenden intersektionalen Diskursgewirr. Es ist die linke Akademikerinnen-Vorhölle.
Der Roman ist das Buch einer Zeit, in der Identitätspolitik fast hip ist und auch den Weg in leitmediale Feuilletons findet. Kasih unterteilt in ihrer Erzählung die Welt in »wir« und »ihr«; »ihr« kommt dabei nicht besonders gut weg. Wobei sie das zwischendurch relativiert, differenziert, Dinge schreibt wie: »Wir sind eben doch manchmal wie ihr.« Diese kurzen Passagen, oder wenn etwa für ein paar Zeilen die benachteiligte Gruppe plötzlich nicht mehr Migrantinnen, sondern Frauen sind, wirken aber eher bemüht. Über weite Strecken ist die Perspektive klar, und sie lautet: Die Leserinnen (wir!?) haben nur die Perspektive Kasihs, die sich früh als unzuverlässige Erzählerin outet (und das im arg konstruierten, nach langatmigen, ausschweifenden Erzählungen sehr unvermittelt hingeknallten Schluss auf die Spitze treibt): Sie weiß, oder vermutet vielmehr, was in all den beteiligten Figuren, besonders den »weißen«, vorgeht. Das ist didaktische Thesenliteratur – aber deswegen nicht unbedingt gute.
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