Seit Jahr und Tag erleben wir ein beeindruckendes Schauspiel: Unter dem Haupttitel »Krieg gegen das Virus« wird in nicht enden wollenden Akten wie »Koste es, was es wolle«, »Wir lassen niemanden zurück« oder »Die nächsten Wochen sind entscheidend« ein Stück geboten, das ständig zwischen Hysterie, Niedertracht und Fürsorglichkeit pendelt. Das Publikum will bei der Stange gehalten werden. Mit gefühlt tausend Pressekonferenzen entlang dem bekannten »Good Cop, Bad Cop«-Muster wird, fast wie aus dem CIA-Handbuch Human Ressource Exploitation Training Manual entnommen, zwischen Panikmache (»Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist«) und fürsorglicher Entwarnung (»Rückkehr zur Normalität«) laviert.
Der als Reprise eingeflochtene und putzig an ein Helene-Fischer-Lied erinnernde Refrain »Schau auf dich, schau auf mich!« will ein leitkulturelles »Wir« gegen den äußeren Feind, die Natur, wappnen. Indes enthält schon Elfriede Jelineks Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr die bedenkenswerte Erinnerung, dass just jene, die uns vor der Wildnis der Natur als etwas Bedrohlichem warnen, stets auch jene sind, die an der weiteren Zerstörung der Natur verdienen. Das freilich ist kein Thema in Zeiten wie diesen.
Wie kurzarbeitende Kasperltheaterpuppen haben Expertinnen und Experten ihren Auftritt, um sogleich wieder entsorgt zu werden: Vertreten sie nämlich eine vom Vater der Famiglia del corto abweichende Meinung, müssen sie als »falsche Experten« (Sebastian Kurz) abtreten. Die Sprache mäandert zwischen martialisch (dem Innenminister ist die Polizei eine Flex, vermittels der die Infektionskette durchtrennt werden soll) und religiös-sedierend: »Wir wollen gemeinsam gut durch die Krise kommen und einander helfen«, verkündigt der Gesundheitsminister. Da ist dann wieder dieses »Wir« einer Glaubens- oder Volksgemeinschaft, von dem man hätte glauben dürfen, dass es in den Ruinen des bellizistischen Nationalismus längst unhebbar verschüttet ist.
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