Bis zum Rückzug der US-Truppen aus Afghanistan und der Eroberung Kabuls durch die Taliban hatte es sich die amerikanische Öffentlichkeit leisten können, den Krieg gegen den Terror weitgehend zu ignorieren. Nun sieht sie sich zu einer kollektiven Gewissenserforschung gezwungen. Gestritten wird darüber, ob Joe Bidens Entscheidung, die militärische Unterstützung der afghanischen Regierung aufzugeben, richtig oder falsch war, und wer für die Folgen verantwortlich gemacht werden sollte. Doch das lenkt von zwei wichtigen Wahrheiten ab. Erstens, dass der Afghanistankrieg, zumindest jener, in dem US-amerikanische Truppen vor Ort der entscheidende Faktor waren, schon lange vorbei war. Und zweitens, dass der globale, von den USA geführte und sich stetig ausweitende Krieg gegen den Terror im Prinzip und in der Praxis weitergeführt wird.
Joe Biden hat zwar die US-Truppen zum zwanzigsten Jahrestag von 9/11 aus Afghanistan abgezogen. Das bedeutet jedoch nicht, dass die USA aufhören würden, in der Region aktiv zu sein. Biden hat bloß zu Ende geführt, was George W. Bush begonnen hatte und seine Nachfolger fortgeführt haben: die Umwandlung des Krieges gegen den Terror von einem konventionellen militärischen Feldzug zu einer globalen Operation, die auf dem Einsatz von Drohnen, Spezialeinheiten und Langstreckenwaffen beruht.
Unter George W. Bush hatten sich die USA auf den Krieg im Irak konzentriert. In Afghanistan und den umliegenden Grenzregionen experimentierte sie derweil mit neuen Methoden der Kriegsführung. Barack Obama versuchte zwar zunächst – auf Anraten der von ihm konsultierten Experten für Aufstandsbekämpfung – die Region mit einer Truppenaufstockung zu befrieden; im Rahmen dieser als »Surge« bekannten Offensive waren zeitweise 100.000 US-Soldatinnen und -Soldaten in Afghanistan im Einsatz.
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