Was überhaupt sein kann
von Norma Schneider
EUR 26,80 (AT), EUR 26,00 (DE), CHF 33,40 (CH)
Der Mathematiker Gerhard Gentzen verhungerte 1945 in einem Prager Gefängnis, weil er sich dafür entschieden hatte, bei der »unfassbaren Scheiße« der Nazis mitzumachen. Die mathematische Beweistheorie, die er vor dem Krieg entwickelte, steht am Anfang der Programme und Geräte, die heute unseren Alltag bestimmen. Geräte wie das, auf dem Jahrzehnte nach Gentzens Tod der Schriftsteller, FAZ-Redakteur und Kommunist Dietmar Dath an einem Roman über den IT-Pionier arbeitet. Es soll weder ein historischer Roman zum Mitfühlen werden noch eine bloße Erläuterung von Gentzens Theorie. Denn es geht, wie meistens bei Dath, um viel mehr: um den Zustand der Gesellschaft, die Aufgaben der Linken und die Möglichkeiten der Technik.
Lässt sich daraus eine Erzählung machen? Sicher, aber keine gewöhnliche. Dietmar Daths neuer Roman Gentzen oder: Betrunken aufräumen besteht aus 160 kurzen Kapiteln, bei denen man nie ahnt, was als Nächstes passiert. Episoden aus der Vergangenheit, der Gegenwart und einer möglichen Zukunft wechseln sich ab mit politischen Reflexionen und Zitaten. In einem Kapitel treffen sich Gerhard Gentzen und Lady Gaga auf einen Kaffee und diskutieren über logische Beweistechniken. Ein anderer Erzählstrang ist der unschönen Entwicklung der Informationstechnik gewidmet – vom anfänglichen Traum einer »organisierten Demokratisierung dieses neuen Produktionsmittels« zu den »Markennamen in Menschengestalt« wie Steve Jobs und den dazugehörigen großen Tech-Unternehmen. Auch eine Gegenbewegung kommt vor, die Tinkerer, die der Technik die Kreativität zurückgeben wollen und an einer anderen Zukunft basteln. In dieser Zukunft, im Jahr 2035, ist aus chemischen Experimenten eine neue Lebensform entstanden und die Menschheit wird von den rätselhaften »falschen Farben« bedroht. Doch es wird an einer Lösung gearbeitet, die die Menschen auf »eine höhere Stufe« bringen soll, wo ihnen »die Farben nichts mehr anhaben können«. Wissenschaft und Technik sind dabei sowohl Auslöser der Katastrophe als auch die Rettung vor ihren Konsequenzen.
Und dann ist da noch Dietmar Dath, der sich im Roman auch »Dietmar Dawson Leery Käsekuchen Ersatzschlumpf Ponyfucker Filmkritik Dath« nennt und als Autor, Erzähler und Figur zugleich fungiert. Er erzählt Anekdoten aus der FAZ-Redaktion, diskutiert mit Freundinnen und Freunden über Sozialismus und Kunst und sucht nach einer passenden Form für seinen Gentzen-Roman. Ausgewählte Artikel, die auf der Website der FAZ nur mit Abo zu haben sind, sind ebenfalls in voller Länge abgedruckt, danke dafür. Gentzen oder: Betrunken aufräumen ist eine fordernde, oftmals verwirrende und in den allermeisten Fällen lohnende Reise in das Denken von Dietmar Dath.
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