Pracht und Idiotie des Akommunismus

von Jens Kastner

417 wörter
~2 minuten
Pracht und Idiotie des Akommunismus
McKenzie Wark
Das Kapital ist tot. Kommt jetzt etwas Schlimmeres?
Kritik einer politischen Ökonomie der Information
Aus dem Englischen von Tom Wohlfarth. Merve, 2021, 248 Seiten
EUR 20,60 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 26,90 (CH)

Die Informationstechnologie hat eine »seltsame Art politischer Ökonomie« hervorgebracht. Eine neue Produktionsweise ist entstanden, und sie ist offensichtlich nicht sozialistisch. Etwas Schlimmeres als der Kapitalismus ist längst im Gange. Dies ist die zeitdiagnostische These, die die Sozialtheoretikerin McKenzie Wark in ihrem aktuellen Buch vertritt. Eingebettet ist sie in eine gleichsam faszinierende wie geradezu rauschhaft referierte Geschichte marxistischer Theorie­ansätze und deren Scheitern, den Tod des Kapitals zu begreifen. Das Rauschhafte ist durchaus Programm, dem vornehmen Universitätsmarxismus setzt Wark eine vulgäre Theorie entgegen: Sie reflektiert den Klassenstandpunkt der Intellektuellen, hat ein Gespür für Ursprünge sozialen Wandels in der Erfahrung der Marginalisierten, arbeitet gegen die technischen Formen der Zeit und feiert die alltägliche Erfahrung.

Ein wirklich historisches Denken muss ein Ende des Kapitalismus in Betracht ziehen, ohne daran die Annahme zu knüpfen, dass ihm notwendigerweise der Kommunismus folgt. Dass der Kapitalismus seit geraumer Zeit abgelöst sei durch neue Formen von Produktion und Herrschaft, zeichnet Wark dann am Umgang mit Informationen und der damit einhergehenden Veränderung der Warenform nach. Das Kapital selbst wurde demnach einer technischen Form der Macht unterworfen, die Wark den »Vektor« nennt. Die Vektoralistenklasse gewinnt aus der Kontrolle von Informationen ihre Macht, die nicht nur die Arbeit ausbeutet, sondern auch über Kapital und Grundbesitz steht. Ihr gegenüber befindet die Hackerklasse, die in allen drei Dimensionen eines antagonistischen Klassenverhältnisses (Eigentum, Autorität, Expertise) ausgebeutet, kooptiert und verschlissen wird. Mehr als frühere Arbeiterklassen trägt die Hackerklasse durch eigenes Tun aber zum Machtgewinn der Herrschenden bei: Kreativ, prekär und kognitiv schafft sie stets neue Information und verschiebt Aufmerksamkeiten. Und die »Beherrschung der Aufmerksamkeit« wird zur vordersten »Form von Klassenmacht«.

Das Buch ist gespickt mit gegenläufigen Leseweisen bekannter Texte, détournements (Entwendungen) im Sinne des Situationisten Guy Debord. Es schlägt negationistische (verweigernde) wie akzelerationistische (zuspitzende) Auswege aus der Vektorenherrschaft gleichermaßen in den Wind. Wark versteht ihr eigenes Denken als einen »Akommunismus« – wobei das Präfix »a« nicht »gegen«, sondern »ohne« meint. Vom Pessimismus der Debord’schen Spektakeltheorie hält Wark nur ein unbedingter Glaube an das »Vorstellungsvermögen der untergeordneten Klassen« ab. Dieses Vermögen bleibt angesichts der niederschmetternden Herrschaftsanalyse allerdings etwas abstrakt. So liest sich McKenzie Warks Plädoyer, die Worte der Theorie zum alltäglichen Leben »in all seiner Pracht und Idiotie« in Beziehung zu setzen, zwar als eine große, aber letztlich erst auszuführende Geste. Libertärsozialistisch wie auch praxistheoretisch Geschulten wird sie zudem so neu nicht erscheinen.

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