Trink mein Monatsblut!
von Andrea Heinz
EUR 20,60 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 26,90 (CH)
Wir mögen uns selbst und die Gesellschaft, in der wir leben, für leidlich emanzipiert und gleichberechtigt halten. Und doch hat jede Frau mindestens eine Freundin mit diesen Ängsten, und wahrscheinlich hatte auch jede selbst schon einmal folgenden Gedanken: Wenn ich mich jetzt trenne, finde ich dann nochmal einen? So alt, klug, aussehend wie ich bin?
Wen wundert es? Schon beim Puppenspielen wird kleinen Mädchen eingebläut, dass Barbie einen Ken und jede Frau einen Mann braucht. Weil sie sonst nämlich alleine sterben wird!
Das ist auch die Angst von Adélaïde Berthel, Protagonistin von Chloé Delaumes wunderbar französischem, nämlich beißendem, witzigem, klugem und höchstgradig entlarvendem Roman Das synthetische Herz. Adélaïde hat sich von ihrem Mann getrennt. Er hatte eine Eigentumswohnung, in Paris – ein Grund, um so gut wie alles zu erdulden. Nur: Sie langweilte sich unfassbar in dieser Ehe. Nun merkt sie, die immer sofort einen neuen Mann gefunden hat, dass es mit Mitte vierzig, auf die Fünfzig zugehend, nicht mehr so leicht ist. Die Statistik! Es gibt mehr Frauen als Männer, Männer sterben früher und sind außerdem selbst halbtot, übergewichtig, weißhaarig und von schlechtem Charakter. Sie sind jedoch selbst dann noch leichter am Heiratsmarkt zu vermitteln als eine beruflich erfolgreiche, kinderlose Mittvierzigerin von passablem Äußeren. Weil sie nämlich gar nicht mehr gesehen wird und es insofern egal ist, ob und wie sie aussieht.
Die langsam in Adélaïde aufsteigende Panik, ihre verzweifelten Versuche, schnell wieder einen Mann zu finden, egal welchen, beschreibt Delaume (stimmig ins Deutsche übertragen von Claudia Steinitz) nüchtern und erbarmungslos – und bricht dabei immer wieder gekonnt das glaubhafte, realistisch anmutende Bild von Adélaïde, indem sie daran erinnert, dass Adélaïde eine Funktion ist, eine Parabel dafür, wie sehr Frauen glauben, abhängig von einer heteronormativen Beziehung zu sein. Und dass auch sie keinen wirklichen Mann sucht, sondern wiederum nur eine Funktion: Daseinsberechtigung, Sinngebung, Versorgung.
Adélaïdes vier Freundinnen, die nicht nur zu dekadenten Ausflügen aufs Land und zu Ess-, Alkohol- und Drogenexzessen, sondern auch zu Hexenritualen zusammenkommen, haben es nicht leichter: Bérangère trifft dank Tinder etliche Idioten und verliebt sich in einen verheirateten Mann, Judith ist gelangweilt in ihrer Ehe und unglücklich verliebt, Clotilde hat wenig Erfolg mit ihren Romanen, nur Hermeline, weil an Männern nicht interessiert und lesbisch, scheint zufrieden (die einzige Stelle, an der man dem Roman vorwerfen könnte, es ein wenig zu übertreiben).
Zu allem Überfluss arbeitet Adélaïde als Pressefrau für einen großen Verlag (sie betreut unter anderem Clotilde), und wie Delaume treffend die bizarren Auswüchse des Literaturbetriebes beschreibt, von Verlagen erzählt, die hundertmal lieber eine Geschichte unseres Käses verlegen als so etwas wie Literatur und die auch bei Clotildes Manifest mit dem Arbeitstitel Trink mein Monatsblut zurückschrecken, zählt zu den besten Passagen des Romans.
Delaume erzählt die Geschichte bis zum bitteren Ende, bis zu Adélaïdes Tod, gibt aber zwei Versionen zur Auswahl. Das utopische Ende ist das schönere, verraten werden soll nur so viel: »Einzig Freundschaft und Schwesternschaft bewahren uns vor dem Abgrund. Die Anpassung unserer Lebensweise, die Gemeinschaft in der Gruppe, das Zusammensein, um gemeinsam zu lachen und nicht allein zu sterben.«
Darauf ein Glas Monatsblut!
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