Die Märzrevolution hat das Volk gemacht, der ›Pöbel‹, auf den die Bourgeoisie so stolz herabblickt, das ›Gesindel‹, welches der ›hohe Adel‹ für ›Bestien‹ erklärte: Die Märzrevolution war das große Werk der Volksmassen.« Mit diesen Worten bezeichnete Dr. Hermann Jellinek in seiner Zeitschrift Kritischer Sprechsaal das Grundproblem der bürgerlichen Revolution von 1848: die Wechselwirkung der revolutionären Intelligenz mit den demokratischen Massenbewegungen.
Geboren wurde Hermann/Herschel Jellinek zwischen dem 22. Jänner 1822 und dem 9. Februar 1823. Ganz genau lässt sich das nicht sagen. Aufgrund der »Familiennorm« war in Mähren die Zahl der jüdischen »Familienstellen« seit den Tagen Josefs II. mit 5.400 begrenzt. Die Behörden wollten damit die Eheschließungen kontrollieren, eine Maßnahme, die man allerdings vielfach mit ungenauen Standesangaben zu umgehen versuchte.
Die Zeitgenossen jedenfalls ließen Hermann Jellinek mehrheitlich 1823 geboren sein. Im Dorf Dreslawitz/Drslavice nahe der damals überwiegend deutschsprachigen Kleinstadt Ungarisch-Brod/Uherský Brod betrieb Isak Löb Jellinek eine Spiritusbrennerei auf dem Gut der Fürsten Kaunitz. Er hatte drei Söhne, den älteren Adolf/Aron und den jüngeren Moritz/Moses. In den Lebenswegen der Brüder zeichnen sich die Emanzipationsperspektiven des 19. Jahrhunderts signifikant ab. Adolf und Moritz gingen erfolgreich den Weg in die liberale Gesellschaft der zweiten Jahrhunderthälfte – Adolf wurde hochgeachteter Prediger und Oberrabbiner in Wien (letzteren Titel führte der religiös liberale Gelehrte nur ungern), der magyarisierte Mór(icz) erfolgreicher Unternehmer in Budapest (Getreidebörse, Straßenbahn). Für den radikal-oppositionellen Hermann dagegen verschmolz die Sache der jüdischen Emanzipation mit dem allgemeinen revolutionär-demokratischen Kampf; mit dem Bruder Adolf lag er trotz gemeinsamer Studienzeit vielfach im Streit.
Jetzt weiterlesen? Das sind Ihre Optionen.
DIESE AUSGABE
KAUFEN
Jetzt kaufen
JETZT
ABONNIEREN
Zu den abos
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.