Martin Behr: Neue Welt

Die Fotografien, die der Künstler (G.R.A.M.) und Journalist Martin Behr 2012 an den Tagen um das Finale der Fußball-Europameisterschaft in Kiew aufgenommen hat, scheinen aus heutiger Sicht wie aus einer anderen Welt: Die ukrainische Hauptstadt ist von den Insignien einer globalen, durchkommerzialisierten Fußballkultur besetzt – eine fragwürdige Bühne für die reich verzierten historischen Bauten der Innenstadt. Lebensgroße, gebrandete Maskottchen, die Passantinnen einladen, sich mit ihnen fotografieren zu lassen, nahezu haushohe UEFA-Transparente, riesige Coca-Cola-Flaschen, Imbiss- und Fanartikelstände, leicht verunsichert dreinschauende Polizisten, Fans der spanischen und italienischen Fußballnationalmannschaften, die sich auf den Straßen mit der lokalen Bevölkerung vermengen – all das prägt das Stadtbild dieser Sommertage. Der ausgelassenen Volksfeststimmung steht das Aufeinandertreffen von städtischer Architektur und der temporären Infrastruktur und grellen Werbeästhetik einer Großveranstaltung gegenüber, die unter dem Slogan »Creating History Together« im Sommer 2012 in verschiedenen Städten Polens und der Ukraine ausgetragen wurde.

Doch dokumentieren Behrs Aufnahmen nicht nur die Inszenierungstechniken der die Europameisterschaft unterstützenden Konzerne und der UEFA, es wird auch eine gewisse Irritation deutlich – der Status des Dazwischen eines Landes der ehemaligen Sowjetunion, in dem der Westen gerade beginnt, sich mit seinen Symbolen und Vermarktungsstrategien in den Alltag einzuschreiben. So ist die circa 300 Fotografien umfassende Serie FINALE nicht nur die Dokumentation eines sportlichen Megaevents, sie legt in ihren vielzähligen Details auch beispielhaft offen, wie sich der Westen in der Nachwendezeit neue Märkte zu erobern versuchte.

Aus der zeitlichen Distanz von fast zehn Jahren, nach den inzwischen stattgefundenen politischen Brüchen und vor dem Hintergrund des aktuellen Krieges bekommen diese Bilder noch einmal eine andere Relevanz. Im Frühsommer 2022 wird Martin Behrs FINALE als Buch erscheinen und der Erlös vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen zugutekommen.