Wir haben eine Situation rational analysiert, die den rationalen Rahmen gesprengt hat«, sagte Ende Februar ein Kiewer Experte zum russischen Angriff auf die Ukraine verbittert. Tatsächlich hatte kaum jemand mit einer Invasion dieser Tragweite gerechnet. Ich selbst schrieb noch vor wenigen Wochen davon, dass ein solches Szenario »undenkbar« wäre und erinnerte an den sowjetischen Einmarsch in Ungarn und die Straßenkämpfe von 1956 in Budapest als eine für die Gegenwart auszuschließende Situation. Dass etwas »Gewaltiges« geschehen würde, davon war freilich auszugehen. Moskau hatte bereits »militärisch-technische Maßnahmen« für den Fall angekündigt, dass die Vereinigten Staaten und die NATO seiner Forderung nicht nachkommen würden, über eine generelle Neuausrichtung der europäischen Sicherheit und insbesondere der militärischen Einkreisung Russlands seit den 1990er Jahren zu verhandeln.
Den Einmarsch und die Bombardements durch die russische Armee rechtfertigen auch die acht Jahre Beschuss und der Bruch der Waffenruhe im Donbass nicht. Auch lässt sich Putins Verstoß gegen das Völkerrecht nicht dadurch relativieren, dass die USA und ihre Verbündeten in der Vergangenheit ihrerseits gegen dieses Recht verstoßen haben. Seine Hirngespinste, Mythen und Übertreibungen – der behauptete »Völkermord« an der russophilen Bevölkerung des Donbass, die »Künstlichkeit« der ukrainischen Nation oder der angebliche »Nazismus« ihres Regimes – stehen in einer Reihe mit den Lügen über Saddam Husseins »Massenvernichtungswaffen«, den »Völkermord« im Kosovo oder die den Vietnamkrieg legitimierende Aggression im Golf von Tonkin. Die Opfer des Krieges und der Sanktionen sind die ukrainische und die russische Bevölkerung sowie indirekt die europäische – und wie immer leiden die Wehrlosesten am meisten.
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