Eine bestimmte Form der Welt
von Andrea Grill
Lea Ypis »Frei« ist mehr als die Geschichte einer Familie im postsozialistischen Albanien. Es macht die hochmütige Unwissenheit deutlich, mit der viele noch immer auf die Menschen in »Südosteuropa« blicken.
Menschen und Bücher in Kategorien einzuteilen dient dazu, das Leben übersichtlicher zu machen, vor allem für Konsumentinnen, die ob der Fülle des zum Erwerb zur Verfügung Stehenden überfordert sind. So ist Frei von Lea Ypi als »autobiografisches Sachbuch« ausgewiesen. Das soll darauf hinweisen, dass der Inhalt des Buches eher der Erinnerung der Autorin entsprang als ihrer Fantasie. Es ist aber auch ein Hinweis darauf, dass wir es momentan für notwendig erachten, jedes und jede und jeden zuzuordnen. Als käme uns das Leben in Europa plötzlich vor wie die Exploration eines bisher unentdeckten Kontinents – alles wirkt sehr fremd, bis wir einen Namen dafür gefunden haben. »Die Welt hatte eine bestimmte Form angenommen, noch bevor irgendwer verstehen konnte, welche Form das genau war. […] Obwohl niemand ihm vorschrieb, was er zu sagen und wo er zu sein hatte, merkte er, dass er dennoch bestimmte Sachen sagen und an bestimmten Orten sein musste, ohne dass er Zeit gehabt hätte, darüber nachzudenken, sich die Vorteile zu vergegenwärtigen und gegen die Kosten abzuwägen.«
Jetzt weiterlesen? Das sind Ihre Optionen.
DIESE AUSGABE
KAUFEN
Jetzt kaufen
JETZT
ABONNIEREN
Zu den abos
Ihre Spende für kritischen Journalismus
Linker Journalismus ist unter Druck. Zumal dann, wenn er die schonungslose Auseinandersetzung mit den herrschenden Verhältnissen profitablen Anzeigengeschäften vorzieht. Mit Ihrer Spende ermöglichen Sie es uns, kritische Berichterstattung auch angesichts steigender Kosten in gewohnter Form zu liefern. Links und unabhängig.