Dem Konflikt um die Bedeutung aus der Zeit gefallener Weltbilder gilt das künstlerische Interesse Markus Krottendorfers. Er nimmt umstrittene Erzählungen historischer Wirklichkeiten, die in einem Moment der Geschichte für real gehalten wurden, zum Ausgangspunkt seiner Arbeit und bedient sich dabei rätselhafter Artefakte, archäologischer Funde, (fiktiver) Reisetagebücher, wissenschaftlicher Abhandlungen oder der Kartografie.
Das Projekt Phantom of the Poles (seit 2012, noch bis 4. Juni 2022 in der Soloausstellung Abyss der Galerie Charim, Wien, zu sehen) rekurriert auf die 1906 veröffentlichte und gleichnamige Publikation William Reeds, in der der Wissenschafter argumentierte, die Polkappen seien Trugbilder, die Erde sei im Inneren hohl und in ihr befänden sich große Kontinente, Ozeane, Gebirge, Flüsse. Reed stützte seine Überlegungen auf Phänomene wie Polarlichter, farbig erscheinenden Schnee, die Formationen der Eisberge oder das Zustandekommen der Flutwellen. Wenige Jahre nach Veröffentlichung widerlegten erfolgreiche Polarexpeditionen dieses umstrittene Werk und damit Reeds These, dass man von den beiden Polkappen aus in das Innere der Erde und zu diesen Welten gelangen könne.
Welche Bedeutung wurde solchen Weltbildern zugeschrieben, und wie wurden diese instrumentalisiert? Wie steht es um die Frage der Repräsentation in der Fotografie, und welche Rolle spielen Bilder in der Entstehung dieser Vorstellungswelten? Um Ambivalenzen und visuelle Korrespondenzen herzustellen, machte sich Krottendorfer für Phantom of the Poles auf den Weg, zum Teil zu sehr entlegenen Orten: einem Gletschereingang oder einer in Eis und Schnee getauchten Bergspitze. Das Projekt gab auch Anlass für Reisen, allerdings nicht wie von William Reed vorgeschlagen zu Nord- oder Südpol, sondern zur 1964 anlässlich der Weltausstellung in New York entstandenen Skulptur Unisphere oder zu den Kristallwelten in Wattens, Tirol.
Mithilfe fotografischer Mittel täuscht Markus Krottendorfer die Betrachterinnen und führt sie in die Irre. Er verweist dabei auf die Problematik der fotografischen Repräsentation und des Dokumentarischen; zugleich legt er damit deren politische Dimension offen. Wie wird (historische) Wirklichkeit konstruiert? Und: Welche Erzählung setzt sich am Ende durch?
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