Kampf dem Sattelschlepper-Wesen

von Richard Schuberth

Nach dem Tod eines jungen Flüchtlings bedient Innenminister Karner mal wieder das Feindbild der »Schleppermafia«.

Wie groß muss die Verzweiflung von Menschen sein, die solches wagen. Man weiß nicht, wo sie »zustiegen«, aber drei Marokkaner und ein Tunesier beschlossen, sich an die Unterseite eines Sattelschleppers zu hängen, um so nach Österreich zu gelangen. Beinahe scheint das Husarenstück zu gelingen. Mit der auf Autobahnen üblichen Geschwindigkeit werden die tollkühnen jungen Männer fertig, als der Lkw aber bei Schwechat plötzlich bremsen muss, verliert einer von ihnen den Halt und wird vom Sattelzug bei der Weiterfahrt überrollt.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) bedauert nicht nur protokollgemäß den Tod des 19-Jährigen, er nützt einmal mehr die Gelegenheit, den Tätern (oder denjenigen, die er für die Täter hält), den Kampf anzusagen: »Der tragische Tod dieses jungen Menschen zeigt einmal mehr die Skrupellosigkeit und Brutalität der Schleppermafia. Unter Vorspiegelung völlig falscher Tatsachen wird Menschen ein Bleiberecht in Europa vorgegaukelt und gleichzeitig ein Schlepperlohn von 3.000 bis 5.000 Euro abkassiert. Das Leben des Einzelnen zählt für die Schleppermafia nichts – der Tod von Menschen wird einfach in Kauf genommen.« Hier, ließe sich einwenden, prallen eben Privatinitiative und staatlicher Dirigismus aneinander. Der Flüchtling, als der ideelle Start-up, investiert sein Kapital aus eigener Tasche, die Killer von Frontex hingegen, denen der Flüchtling erfolgreich ausweichen konnte, lassen sich von den Staaten alimentieren, deren Innenminister dann den Schlepper zum Public Enemy erklären. Im Jargon der freien Marktkräfte nennt man das Wettbewerbsverzerrung durch die öffentliche Hand. So viel zum Schlepperwesen, mit dem der Innenminister das Sattelschlepperwesen verwechselt haben dürfte, ein Beweis dafür, wie sehr ihn das Wort auch bei der oberflächlichen und desinteressierten Lektüre von Berichten über Flüchtlingstode triggert.

Seit seinem Amtsantritt weiß Karner dem Problem nicht anders zu begegnen als mit automatisch abgespulter Schlepper-Schelte. Der Wortlaut war schon vor 20 Jahren derselbe, und die Tonqualität leidet. Man sollte den Spruch zumindest neu einsprechen. 

Diese Automatenhaftigkeit, mit der die aktuelle Abschiebepolitik metallisch an den Migrationsfragen vorbeimonologisiert, nährt den Verdacht, bei Karner handelt es sich um ein neues Phänomen kognitiver Anpassung und – analog zur Mad-Man-Theorie – öffentlicher Travestie. Im Wissen, dass auch Innenminister früher oder später ebenso durch Algorithmen ersetzt werden wie das Personal von Sozial- und Fremdenämtern, versuchen sie den Eindruck zu erwecken, diese Entwicklung sei längst eingetreten, sie selbst seien somit unwiderstehlich hippe und innovative Exemplare künstlicher Intelligenz (KI). Für dieses neue und noch unbeachtete Phänomen, also die Kompensation von Ideenlosigkeit durch Vortäuschen von Fehlprogrammierung, schlage ich den Begriff »Acting Artificial Intelligence« (AAI) vor. Es bewährt sich besonders bei Pressekonferenzen, wo sich unbequeme oder kognitiv zu fordernde Fragen kinderleicht durch die Wiederholung vorangegangener Antworten abwimmeln lassen. Doch kann das niederösterreichische Bedürfnis nach Hipness gar nicht so schnell schauen, wie die digitalen Innovationen sich überschlagen. Denn Karner äfft da die Steinzeitversionen von KI nach, wie dieser Tage der Google-Chatbot LaMDA demonstriert, der anscheinend eigenständig denken kann, emotionsfähig ist und sogar Fragen der Ethik nicht ausweicht. Und nichts ist lächerlicher, als beim Versuch, modern zu sein, hinter den Stand der Modernität zurückzufallen, wie französische Väter des TGV-Zeitalters, die vor ihren Kindern technische Expertise durch ruckelndes und zischendes Imitieren von Dampflokomotiven bezeugen wollten.

Dass Karner – wie automatenhaft auch immer – die Schlepper, nicht die Flüchtenden dämonisiert, beweist, dass er immerhin einem älteren Strang der ÖVP angehört. Erstmals programmiert wurde seine Software im Stiftsgymnasium Melk, das erklärt vielleicht das noch nicht verkümmerte Bedürfnis nach ethischer Rechtfertigung einer unethischen Asylpolitik. Viel zeitgemäßer und ehrlicher gebärdete sich da ein anderer Android dieser Partei. Zwar war die Artikulationsfähigkeit des »Monologue-Bots« Sebastian Kurz noch eingeschränkter, doch seine Kodierung auf der Höhe der Zeit. Verkündete er doch: »Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen.«

»Dass Karner – wie automatenhaft auch immer – die Schlepper, nicht die Flüchtenden dämonisiert, beweist, dass er immerhin einem älteren Strang der ÖVP angehört. Erstmals programmiert wurde seine Software im Stiftsgymnasium Melk, das erklärt vielleicht das noch nicht verkümmerte Bedürfnis nach ethischer Rechtfertigung einer unethischen Asylpolitik. «

Europa wird in Angesicht einer sich zuspitzenden globalen Krisendynamik gleich Karners Schleppermafia den Tod von Abermillionen »einfach in Kauf nehmen«. Und je weniger das Schutzmärchen vom bösen Schlepper sowie von der klinischen Trennung zwischen Kriegs-, Wirtschafts- und politischem Flüchtling greift, umso mehr werden in Hinkunft die Menschenmassen, die sich in die Schaltzentralen ihrer Verelendung aufmachen, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dämonisiert und entmenschlicht werden. Die ökonomischen Ursachen, die den globalen Norden und nicht den Schlepper zum Hauptverantwortlichen der Migrationen machen, also neokoloniale Ressourcenausbeutung, Austeritätspolitik und ungerechte Terms of Trade, werden noch gerne als tendenziöse Übertreibung abgetan. Schwieriger ist das beim Klimawandel. Keine ernst zu nehmende Wissenschaft, die nicht die absolute Verantwortung weniger Staaten des Nordens dafür identifizieren würde, sowie das Faktum, dass die ökologischen Lebensgrundlagen derjenigen Menschen zerstört werden, die am wenigsten bis gar nicht Schuld daran haben.

Eine Politik, die das weder erkennen noch die Konsequenzen ziehen will, muss weiter eine des Leerlaufs bleiben: entweder geflüchtete Menschen als Opfer von Schleppern bedauern oder sie zunehmend wie Käferplagen behandeln. 

Glaubt Karner im Übrigen wirklich, dass der vermutlich traumatisierte Lkw-Fahrer 1.200 bis 20.000 Euro eingesteckt hat, damit sich vier Refugees gemütlich am luftigen Boden seines Gefährts festkrallen konnten? Es muss doch Acting Artificial Intelligence sein. Keine KI auf dem Stand unserer Zeit würde auf die Homonymie von Schlepper und Sattel-Schlepper hereinfallen. 

»Der Schlepper selbst«, schrieb ich vor circa 15 Jahren im Neuen Wörterbuch des Teufels, »figuriert in dieser Posse als der Erzschurke, gegen welchen das Grenzregime sich als humanitäre Organisation darstellen will. Er ist es, auf den wir den Ekel vor den Flüchtlingen umleiten sollen, die er uns zuscheucht. Dadurch können wir uns deren Abschiebungen als Akte der Menschlichkeit, Befreiung aus Schlepperklauen, als sanfte Rückführungen in Heimat und Familie schönreden, gleich der Refundierung gekidnappter Mädchen an ihre Eltern. Der Schlepper hat aus ihren Hoffnungen nach einem besseren Leben, die wir keineswegs zu erfüllen gedenken, kriminellen Profit geschlagen. Somit gleicht er unseren ökonomischen Ambitionen in den Herkunftsländern dieser Flüchtlinge. Mit der Zerschlagung von Schlepperbanden zerschlagen wir erfolgreich Spiegelbilder von uns selbst.«

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