In den Bergen Kandils

von Sitara Thalia Ambrosio

Das Kandil-Gebirge ist auch in diesen Wochen der wichtigste Rückzugsort für die Kämpferinnen der PKK.


857 wörter
~4 minuten

Schroffe Felsen und trockene Hänge erheben sich über der unbefestigten Fahrbahn, die hoch hinauf zu den Bergen des Kandil-Gebirges führt. Die enge Bergstraße in Südkurdistan ist menschenleer und führt in Schlangenlinien durch die karge Landschaft. Shain*, ein junges PKK-Mitglied, zeigt aus dem Fenster heraus auf eine kurdische Fahne, die auf der Spitze eines Berges weht. »Das ist Heimat«, sagt er auf Englisch.

Das Kandil-Gebirge liegt im Norden des Iraks an der Grenze zum Iran, nur knapp 100 Kilometer südlich der türkischen Grenze. Mit seinen versteckten Tälern, unzähligen Höhlen und hohen Gipfeln ist das Gebirge der wichtigste Rückzugsort der PKK. Die kurdische Untergrundorganisation, die in zahlreichen Ländern als terroristische Vereinigung eingestuft wird, und ihre iranische Teilorganisation, die Partei für ein freies Leben in Kurdistan, kontrollieren hier ein Gebiet von rund 50 Quadratkilometern.

Immer wieder greift die Türkei Stellungen der PKK an und immer wieder werden dabei Zivilisten getötet. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Vorbei an einem meterhohen, in Stein gemeißelten Abbild Abdullah Öcalans führt die enge Bergstraße den Bus der internationalen Aktivistinnen ins Gebiet der kurdischen Befreiungsbewegung – in die Region Kandil. »Schon über zehnmal wurde die Skulptur schon von türkischen Drohnen zerstört«, erzählt Shain den Internationalisten. Mitte letzter Woche beteiligten sie sich bereits an einem Protestmarsch durch die Autonome Region Kurdistan.

Die »befreite Region« Kandil ist nach dem Prinzip des Demokratischen Konföderalismus organisiert – eines Konzepts von Abdullah Öcalan, das auch in den nordsyrischen Gebieten von Rojava als politisches Leitbild gilt. »Wir wissen von den Geschichten unserer Opas und Omas, dass immer Männer in hohen Positionen sitzen. Die Theorie von Öcalan hat das endlich geändert. Wir wissen jetzt, dass Frauen und Männer gleichberechtigt sind«, erzählt Awaz Ismail, die Bürgermeisterin der Region. Sie teilt sich ihren politischen Posten gleichberechtigt mit einem Mann, wie das bei wichtigen Ämtern im Demokratischen Konföderalismus üblich ist. Der Bürgermeister ergänzt: »Das Problem ist der Kapitalismus, er macht es schwieriger für Frauen.« Die beiden sitzen auf einfachen Plastikstühlen, es gibt Chai, wie eigentlich überall, wo man hier zu Besuch kommt.

Awaz Ismail ist Bürgermeisterin der Region Kandil. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Das Verständnis von Demokratie und Zusammenleben unterscheidet sich deutlich von dem in westlichen Demokratien. Hier werden Entscheidungen immer mit den Delegierten der Dorfbewohner abgesprochen. Dafür gibt es regelmäßig große Zusammenkünfte, bei denen immer zwei Personen aus jedem Dorf, die Bedürfnisse und Wünsche der Bewohnerinnen vertreten. »Natürlich haben auch wir immer wieder Probleme, weil wir alle verschiedene Ideen haben«, sagt Awaz Ismail, »aber wir geben nicht auf, wir reden viel miteinander, und wir kämpfen gegen andere traditionelle Gesellschaften.«

Von heiler Welt ist in der Region tatsächlich wenig zu merken. Immer wieder greift der NATO-Staat Türkei die Stellungen der PKK an. Drohnen und Bomben töten immer wieder Zivilisten. Sozam Mushir Jalal überlebte den Angriff eines Kampfflugzeugs auf ihr Haus, als sie 27 Jahre alt war, verlor dabei allerdings ihr linkes Bein. »Anfangs war es sehr schwierig. Meine Familie ist mir natürlich beigestanden, wer aber kann das schon nachempfinden, was ich zu dieser Zeit erlebt habe«, erzählt die heute 42-Jährige. »Die Türkei behauptet, sie würde nur die Guerilla angreifen, doch viele der Opfer sind Zivilisten. Es zerstört uns, unser Leben hier. Wir leben in ständiger Angst.« 

Sozam Mushir Jalal: Bei einem türkischen Angriff verlor die heute 42-Jährige ihr linkes Bein. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Der Konflikt und die ständige Gefahr eines Angriffs durch die Türkei sind auch im Alltag der Menschen hier präsent. Auf den Straßen kommen einem Mopeds und weiße Pick-ups entgegen, im Hintergrund hört man immer wieder Schüsse – vom Training der Guerilla, wie die Menschen hier erzählen. Die Dörfer der Region liegen in den schmalen Tälern zwischen den Bergen. Oft bestehen sie nur aus ein paar Häusern. Die karge Landschaft wird an einigen Stellen von Feldern und Wiesen unterbrochen. Dort treiben auch Hirten ihre Tiere vor sich her. »Das Leben hier ist schwierig. Eigentlich sammeln die Menschen hier Kräuter und bewirtschaften ihre Felder, doch wegen der Drohnen haben viele jetzt Angst«, sagt eine Dorfbewohnerin. »Einmal fütterte mein Sohn die Kühe auf den Feldern, als eine Rakete ganz in der Nähe einschlug. Wir hatten Glück, dass ihm nichts passiert ist«, erzählt Kafja Hamad Mustafa, eine andere Dorfbewohnerin, die 2015 ihren anderen Sohn bei einem Bombenangriff verlor. 

Der Torborgen zum Friedhof, beflaggt mit den Symbolen der kurdischen Bewegung. (Foto: Sitara Thalia Ambrosio)

Auch am Friedhof weiter oben auf dem Berg sind die Folgen des bewaffneten Konflikts sichtbar. Zwischen den Bäumen gelangt man durch einen Torbogen zu den Gräbern der gefallenen Kämpferinnen und getöteten Zivilisten, die in sauberen Reihen in Blickrichtung der Berge angelegt wurden. 

* Name von der Redaktion geändert


Dies ist nach Wütend, aber fröhlich der zweite Beitrag im Rahmen unserer Berichterstattung von der internationalen Delegation gegen die Angriffe auf Südkurdistan.

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