Realer Krieg und symbolischer Kampf

von Cora Gamarnik

Vor 40 Jahren, im Juni 1982, ging der kurze Krieg zwischen Argentinien und Großbritannien um die Inselgruppe der Malvinas zu Ende. Die Niederlage Argentiniens trug zum Zerfall der Militärdiktatur bei.

Am 2. April 1982 landeten argentinische Streitkräfte auf den Malvinas, einer Inselgruppe im Südatlantik, die in Großbritannien und den meisten westeuropäischen Ländern bis heute unter dem Namen Falklands firmiert. Es folgte ein etwa zehnwöchiger Krieg zwischen Großbritannien und Argentinien. Zu diesem Zeitpunkt hatte Argentinien bereits sechs Jahre Militärdiktatur hinter sich, mit tausenden Ermordeten, Verschwundenen, Inhaftierten und Exilierten. 

Die Malvinas waren für die britische Krone im Jahre 1883 militärisch okkupiert worden, seither hat Argentinien die Inseln für sich beansprucht. Deshalb traf die Landung argentinischer Truppen im Jahre 1982 auch auf breite, wenn nicht frenetische Unterstützung in der Bevölkerung – was bis heute Debatten und Dilemmata aufwirft: Wie konnte man eine solche Wiederinbesitznahme der Malvinas begrüßen, ohne zugleich die Militärdiktatur gutzuheißen?

Die »Operación Rosario« (Operation Rosenkranz), wie der Einsatz von den Militärs getauft wurde, fußte auf zwei Prämissen, die einander jedoch widersprachen: Erstens, dass Großbritannien auf eine militärische Okkupation der Inseln nur diplomatisch, nicht aber militärisch reagieren würde; zweitens, dass die USA die Briten im Falle eines bewaffneten Konflikts nicht unterstützen würden. Beiden Annahmen lag nicht nur große politische Unfähigkeit zugrunde, sondern sie offenbarten auch eine tiefgreifende Unkenntnis von Geschichte und Gegenwart internationaler Politik. Wie der von der Diktatur zum Präsidenten ernannte General Galtieri am 3. April in einem patriotisch gemeinten, aber heute unfreiwillig entlarvenden Statement erklärte: »Die Entscheidung zu jenem Schritt, den wir soeben unternommen haben, wurde ohne jegliche politische Berechnung getroffen.« Der ursprüngliche Plan der argentinischen Militärjunta war es, mittels einer schnellen Landung ohne großes Blutvergießen Fakten zu schaffen und danach gestärkt in Verhandlungen zu treten. Die rasche militärische Reaktion Großbritanniens sowie die breite Unterstützung in der argentinischen Bevölkerung für die Militäraktion zwang die Junta jedoch, einen Kriegsplan aus dem Boden zu stampfen und tausende Soldaten zu mobilisieren. Dabei handelte es sich in übergroßer Mehrheit um 18- und 19-Jährige, die gerade ihren Militärdienst ableisteten und über wenig bis gar keine militärische Ausbildung verfügten. 

Dieser als »recuperación« (Wiederinbesitznahme) bezeichnete Militäreinsatz hatte zwei Hintergründe, die in einem schwierigen Wechselverhältnis standen: Einerseits war die Militärjunta wegen der Wirtschaftskrise und der Menschenrechtsverletzungen, die zunehmend angeprangert wurden, in Misskredit geraten und brauchte eine Möglichkeit, wieder Initiative zu zeigen und sich so Zustimmung in der Gesellschaft zu sichern. Andererseits gab es in Bezug auf die Malvinas und die argentinischen Souveränitätsansprüche ein tief verwurzeltes Sentiment in breiten Teilen der Bevölkerung. 

Die Militärjunta formulierte drei Zielvorgaben für den Militäreinsatz: absolute militärische Geheimhaltung, keine Verluste auf britischer Seite oder unter den Inselbewohnern sowie eine möglichst kurze Dauer der Operation. Unter diesen Vorzeichen landeten am 2. April drei argentinische Boote mit 914 Soldaten auf den Inseln und trafen dort auf 56 britische Marineinfanteristen. Bereits am Vormittag des gleichen Tages wurde über die argentinischen Radiostationen und TV-Sender ein erstes Kommuniqué veröffentlicht, in dem die Eroberung der Inseln verlautbart wurde. Die Reaktion in Argentinien ließ nicht lange auf sich warten, die Nachricht wurde in der Bevölkerung begeistert aufgenommen.

Die internationale Medienresonanz auf die Ereignisse war groß. Die Berichterstattung wurde vor allem von zwei Fotografien begleitet, die die wichtige symbolische Ebene dieses Krieges veranschaulichen. In einer konnte man mehrere britische Soldaten nach der Kapitulation und mit erhobenen Händen sehen, in der anderen sah man eine Reihe Soldaten mit Gesicht und Bauch nach unten am Boden liegen. Das zweite Bild war von einem bestimmten Teil der argentinischen Militärhierarchie durchaus gewünscht worden, der damit einen ausdrücklichen Befehl des Oberkommandos unterlief, wonach britische Truppenangehörige mit allen Ehren zu behandeln seien. Die am Boden liegenden Soldaten wurden als Affront wahrgenommen, und auch wenn der Offizier vor Ort schnell anordnete, dass sie wieder aufstehen sollten, das Bild hielt den Augenblick fest, konnte durch die argentinische Zensur schlüpfen und wurde weltweit auf den Titelseiten veröffentlicht. 

Die Sun zeigte am 5. April 1982 britische Soldaten, die auf dem Boden liegen.

Auch in Großbritannien kam es nach dem 2. April zu starken Reaktionen. Wie Eric Hobsbawm in einer im Jänner 1983 in der Zeitschrift Marxism Today unter dem Titel Falk­land Fallouts veröffentlichten Analyse schrieb, herrschten zuerst Unglaube und ein Gefühl der Schmach vor: »Viele reagierten auf die Nachricht, dass Argentinien ein Stückchen britischen Territoriums einfach überfallen und besetzt hatte, aus dem Bauch heraus ungefähr so: ›[…] Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, an dem ein Haufen Ausländer denkt, sie könnten einfach auf britisches Territorium einmarschieren und es in Besitz nehmen, und sie glauben, dass die Briten so abgewirtschaftet haben, dass niemand dagegen aufstehen und sich wehren wird. Das ist nun wirklich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt, jetzt müssen wir was tun.‹« Hobsbawm meinte weiters, dass die Regierung unter Margaret Thatcher diese Gefühle nutzte, um sie in eine nationalistische, beinahe »semifaschistische« Richtung zu treiben. Er zitierte eine von Thatcher nach dem Ende des Krieges gehaltene Rede, in der sie gesagt hatte, »es gab jene, die glaubten, dass unser Niedergang unumkehrbar geworden war, dass wir nie wieder das sein würden, was wir einstmals waren, dass Großbritannien nicht mehr länger die Nation war, die das Empire errichtet und ein Viertel der Welt regiert hatte. Nun, sie hatten sich geirrt.«

Im Kontext des Niedergangs des britischen Empire machten die Reaktion der Bevölkerung auf die argentinische Besetzung der Malvinas und das Gefühl einer nationalen Schmach den konservativsten Flügel der Thatcher-Regierung mobil. Das spielte mit einer argentinischen Junta zusammen, in der der »härteste« Teil der Streitkräfte den Ton angab, was sich unter anderem in dem systematischen praktizierten Staatsterrorismus seit 1976 ausdrückte. Thatcher kam ein Sieg in einem Krieg nur gelegen, sie wich daher Verhandlungen mit Argentinien aus. Die USA wiederum stellte sich entschieden auf die Seite Großbritanniens.

Lügen und Manipulation

Der Malvinas-Krieg wurde, wie jeder moderne Krieg, auch in den Medien ausgetragen. Das war umso bedeutender, als sich der Kriegsschauplatz auf den Inseln weitab von den Machtzentren in Buenos Aires oder London befand. Für die Menschen in beiden Ländern konnten die Ereignisse auf dem Schlachtfeld nur durch die mediale Berichterstattung erfahrbar werden. In Argentinien erwiesen sich die gleichen Medien, die zuvor schon die Militärdiktatur unterstützt hatten, auch im Krieg als zentrale Stütze. Der staatliche Fernsehsender ATC und die offizielle Nachrichtenagentur Télam erhielten als Einzige die Erlaubnis, direkt vom Schauplatz zu berichten. Diese strikte Nachrichtenkontrolle trug dazu bei, dass eine einheitliche mediale Realität des Krieges kreiert wurde, die sich durch die siegesgewisse Rhetorik der Berichterstattung in den anderen Medien noch verstärkte. So wurde während des gesamten Kriegsverlaufs das Bild vermittelt, dass Argentinien auf dem Weg zum Sieg sei. Zudem gab es keine einzige Mitteilung über die Nöte und Schwierigkeiten der argentinischen Soldaten auf den Inseln, allen voran Kälte und Hunger. 

Ohne Korrespondenten vor Ort wurden für ein nachrichtenbegieriges Publikum Druckseiten sowie Radio- und Fernsehminuten gefüllt – viele dieser Nachrichten waren schlicht falsch und folgten einer triumphalistischen Rhetorik, die von großen Teilen der Bevölkerung geglaubt wurde. Berichtet wurde über niemals geschlagene Schlachten, zerstörte britische Flugzeuge und Schiffe, die in Wahrheit keinen Schaden genommen hatten, und inexistente Siege. 

Desinformation ist natürlich eine Waffe in jedem Krieg, bei den Berichten der argentinischen Presse ging es jedoch nicht darum, dem militärischen Gegner falsche Informationen anzutragen, sondern die eigene Bevölkerung zu täuschen. Während die Militärjunta auf Kosten hunderter Menschenleben Zeit zu gewinnen versuchte und auf ein Wunder zu hoffen schien, erhöhten die Medien ihre Auflagen und Einschaltquoten durch sensationalistische, nationalistische, manipulierte und erlogene Berichte. 

Am 1. Mai 1982 bombardierten britische Kampfflieger die Landebahn von Port Stanley, das zu diesem Zeitpunkt in Puerto Argentino umbenannt worden war. Tags darauf wurde der Kreuzer ARA General Belgrano vom britischen U-Boot HMS Conqueror getroffen. Es ist der bisher einzige Fall eines im Krieg von einem Atom-U-Boot versenkten Schiffs, im Übrigen außerhalb der von den Briten deklarierten Sperrzone. Der Befehl kam direkt von Margaret Thatcher, er kostete 323 argentinischen Soldaten das Leben, fast die Hälfte der im Malvinas-Krieg Gefallenen. 

Die Briten brauchten einen imposanten Sieg. Wie Hobsbawm anmerkte: »Der Krieg wurde von Großbritannien vom Zaun gebrochen, völlig ungeachtet dessen, welche Haltung die argentinische Seite einnahm.« Thatcher ging aus dem Krieg gestärkt hervor und gewann die Unterhauswahlen 1983 mit großem Abstand. Dieser Sieg erleichterte es ihr auch, mit kompromissloser Härte in die Auseinandersetzung mit den britischen Bergarbeitern in den Jahren 1984 bis 1985 zu gehen, die, wie man heute weiß, zu einem zentralen Wendepunkt im Prozess der Schwächung der Arbeiterbewegung und der Implementierung des Neoliberalismus wurde. Die 1982 geschaffenen politischen Vorstellungswelten wurden von der konservativen Regierung im Bergarbeiterstreik aufgegriffen, der Diskurs war erneut einer des Krieges: Der Streik wurde nicht als Arbeitskonflikt dargestellt, sondern als Angriff auf »Freiheit« und »Demokratie«.

Niederlage und Verschleierung

Für die Argentinier und Argentinierinnen kam die Niederlage wie ein unerwarteter Blitzschlag. Die Medien füllten sich mit euphemistischen Umschreibungen der Kapitulation, es war von »Feuerpause«, »Waffenstillstand«, »Waffenruhe«, »Einstellung der Kämpfe« oder einem »Abkommen über Truppenabzug« die Rede. Der Militärdiktatur hatte mit einem Schlag Ansehen und Gesicht verloren. Viele, die kurz zuvor noch ihre Unterstützung für die Sache der Malvinas und die kämpfenden Soldaten kundgetan hatten, waren vom Ausgang der Ereignisse völlig überrascht. Die anfängliche Bestürzung wurde durch das Gefühl, betrogen worden zu sein, abgelöst und lies an verschiedenen Orten den Unmut gegen die Diktatur, der vor dem Krieg bereits beträchtlich gewesen war, offen und mit neuer Entschiedenheit zutage treten. 

Die Solidarität, die während des Krieges den Soldaten entgegengebracht worden war, wurde zu einem besonderen Problem für die Militärs. Schon zuvor waren sie nicht in der Lage gewesen, die vielen gesammelten Spenden zu den kämpfenden Einheiten zu bringen. Die Rückkehr der Soldaten von den Malvinas wurde daher als potenzielle Bedrohung betrachtet. Ihre Berichte über das Erlebte, aber auch ihr physischer und psychischer Zustand drohten die gesellschaftliche Empörung und die wachsende Unzufriedenheit mit der Militärdiktatur zu verstärken. Die Armee entschied sich deshalb, möglichst stillzuhalten. So kamen nach der Niederlage auf den Inseln die bereits in den Jahren zuvor praktizierten Methoden klandestiner Repression zum Einsatz: Vertuschungen, Zensur, Drohungen, geheimdienstliche Operationen, bereitwillige Mithilfe durch die Medien. Damit sollte verhindert werden, dass die Bevölkerung die zurückkehrenden Soldaten empfängt oder auch nur sieht.

Britische Marineinfanteristen ergeben sich nach der Landung argentinischer Truppen. Cover der argentinischen Illustrierten Gente.

Neben Hunger, Kälte, einer improvisierten Versorgung und der Kriegserfahrung selbst waren die Soldaten am Kriegsschauplatz durch ihre Vorgesetzten vielfach geschunden worden, hatten Essensentzug, Schläge und andere Misshandlungen erfahren. Nun mussten sie in der unmittelbaren Nachkriegssituation ein verordnetes Schweigen, fehlende Anerkennung, Isolation und Drohungen durch das Militär hinnehmen. Dieses umfassende und schmerzhafte Schweigen, das von der Armee erzwungen worden war (und von vielen Veteranen, die eine Anklage wegen »Vaterlandsverrats« fürchteten, tatsächlich streng gewahrt wurde), blieb nicht ohne Folgen. Unter anderem gab es in den Jahren nach dem Krieg eine Reihe von Suiziden. Es überrascht deshalb nicht, dass es nach dem Krieg nicht nur kaum Anerkennung, sondern auch wenig konkrete Unterstützung für die ehemaligen Soldaten gab, vor allem mangelte es an psychologischer Hilfe. Stattdessen wurden die selbstorganisierten Vereine und Treffpunkte der Veteranen überwacht und verfolgt. In einigen Fällen mussten es rückkehrende Soldaten sogar übernehmen, Familien über den Tod ihres Angehörigen zu informieren, weil sich die Armee nicht einmal darum kümmerte. 

Demokratie und Vergessen

Die Diskreditierung der Armee nach der Niederlage auf den Inseln machte es möglich, die Diktatur umfassender zu hinterfragen. Schließlich hatten die Militärs auf ihrem ureigensten Gebiet kläglich versagt. Wenn schon die Eroberung der Inseln ein verzweifelter Versuch gewesen war, die verlorene Legitimität wieder zu erlangen, so nahm der Zug Richtung Demokratisierung nach der Niederlage umso stärker Fahrt auf. Eineinhalb Jahre nach dem Ende des Krieges kam es zu Wahlen und zu einer Rückkehr zur Demokratie.

Dass der Malvinas-Krieg und das staatsterroristische Regime der Militärdiktatur auf symbolischer Ebene eng miteinander verbunden sind, war und bleibt ein Problem. Nach der Niederlage kam es zu einer Art »Ent-Malvinisierung«, wie man in Argentinien sagt, also dem Versuch, den Krieg in einen Mantel des Schweigens zu hüllen und ihn zu vergessen. Die Erfahrungen und Geschichten der Soldaten, ihr Mut und ihr Leiden, gingen in der allgemeinen Kritik an der Militärdiktatur unter. Die Erinnerung an und die Anerkennung für jene, die auf den Malvinas gekämpft haben, werden in Argentinien seither »von unten« gelebt, nicht zuletzt, weil das Thema unter den ärmeren Bevölkerungsschichten noch immer tief verankert ist. Murales, Schilder, Plakate, Aufkleber, T-Shirts, Tätowierungen, kleine Gegenstände und Nippes, aber auch Denkmäler und die Namen von Sportanlagen und Kulturzentren zeugen davon. In jeder Gemeinde in Argentinien gibt es einen Ort oder einen Namen, der sich auf die Malvinas bezieht. 

Bis heute gibt es zur Landung argentinischer Truppen auf den Malvinas verschiedene, wenn nicht gegensätzliche Lesarten. Die einen bezeichnen es als »militärisches Abenteuer« oder einen »Griff nach dem Strohhalm«, mit den eine in die Krise geratene Militärdiktatur versuchte, sich durch die Anrufung nationaler Gefühle erneut zu legitimieren. Andere sprechen von einer »patriotischen Heldentat«. Zugleich sind die Malvinas weiterhin Teil einer antiimperialistischen und lateinamerikanistischen politischen Tradition, in der der Kampf gegen koloniale Hinterlassenschaften und gegen die Einrichtung eines NATO-Stützpunktes im Südatlantik im Mittelpunkt steht. Während diese Lesarten in Argentinien um die geschichtspolitische Vorherrschaft ringen, stimmen sie alle insofern überein, als sie diese Inseln, die Malvinas, als argentinisch betrachten. 

Dem Krieg fielen 746 argentinische Soldaten zum Opfer, über 1.000 wurden verletzt. Offizielle Zahlen aus Großbritannien sprechen von 255 Toten und 777 Verletzten auf britischer Seite. In den Jahren nach dem Krieg nahmen sich in Argentinien hunderte Veteranen das Leben; auch wenn offiziellen Zahlen dazu fehlen, so waren es wahrscheinlich mehr als die im Krieg selbst Gefallenen. Die Niederlage der argentinischen Truppen beschleunigte das Ende der Militärdiktatur und bereitete den Weg für eine Rückkehr zur Demokratie. Zugleich hinterließ der Krieg eine Reihe von tiefen Wunden in der argentinischen Gesellschaft, die bis heute spürbar sind. 

Aus dem Spanischen von David Mayer.

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