Anastasia Mityukova: Nuklearmüll in der Arktis
von Margit Neuhold
»Bilder der Auseinandersetzung« 7-8/2022. In Zusammenarbeit mit »Camera Austria International«.
Bis heute prägen Fotografien aus der Zeit der ersten Arktisexpeditionen unsere Vorstellungen von diesem unwirtlichen Ort im ewigen Eis. Auch die in der Schweiz lebende Künstlerin Anastasia Mityukova erlag früh dem Faszinosum Arktis. Seit ihrer Kindheit folgte sie den vielzähligen Geschichten rund um die Polkappen, als Jugendliche las sie die Werke des französischen Grönlandforschers und Anthropologen Jean Malaurie.
2018 begann Mityukova das Archiv Project Iceworm anzulegen, in dem sie Fragen von Kolonialisierung, Kaltem Krieg, Umweltschutz und Klimawandel bearbeitet. Der Titel zitiert das streng geheime gleichnamige Programm der US-Armee: 1958 begannen die USA den Aufbau eines Forschungszentrums voranzutreiben, das mobile Abschussrampen für Atomraketen und Lagerstätten für diese unter dem grönländischen Eisschild errichten sollte. Ermöglicht wurde dies durch ein sieben Jahre zuvor zwischen Dänemark und den Vereinigten Staaten abgeschlossenes Verteidigungsabkommen. In den Jahren 1967/68 wurde das Nuklearprojekt aufgrund der instabilen Eisschicht schließlich stillgelegt.
Bis heute existieren nur einige wenige offizielle Pressefotos des militärischen US-Stützpunktes und ein oder zwei Propagandavideos der US-Armee. Auf der Suche nach Bildern begab sich Anastasia Mityukova daher in Archive und durchforstete Internetforen, Blogs und soziale Medien. Die so zutage geförderten rund 6.000 Bilder zeigen den Aufbau des Militärstützpunktes und die Anlagen in intaktem und verlassenem Zustand. Auch die unrühmlichen Vorfälle rund um das Projekt kommen nicht zu kurz, etwa der Absturz einer B-52 mit vier Atombomben an Bord, von denen drei explodierten – die Überreste der vierten wurden bis heute nicht gefunden –, oder die Zwangsumsiedelung der in der Nähe des Luftwaffenstützpunktes lebenden Inuit in das weiter nördlich gelegene Dorf Qaanaaq. Die Abbildung links zeigt die gewaltvolle Zerstörung eines der Häuser, das Bild rechts entstammt einem Propagandavideo.
Gegenwärtig arbeitet Mityukova daran, ihr gesamtes Bildarchiv online zu stellen und es möglichst auf Open-Source-Grundlage allgemein zugänglich zu machen – um den Bildern wie auch den damit verbundenen Ereignissen und Narrativen ein künftiges Eigenleben zu ermöglichen.
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