Wasser marsch!

von Lisa Kreutzer

Seit Jahren geht der Wasserstand des Neusiedler Sees zurück. Nun soll Wasser aus der Donau dafür sorgen, die Interessen von Tourismus und Landwirtschaft weiterhin zu wahren.


2358 wörter
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Die Ostseite des Neusiedler Sees ist ein Traum für Vogelkundlerinnen und Naturfreunde. Ab April finden Brutvögel aus ihren Winterquartieren zurück ins Schilf des Steppensees, manche bleiben Monate, andere rasten auf ihrem Weg in den Norden. Wegen ihrer Vielfalt und Einzigartigkeit gehört die Gegend seit 2001 zum UNESCO-Welterbe. Der Steppensee und sein Schilfgürtel sind das Herzstück der Kulturlandschaft Fertő/Neusiedler See, die sich die Nachbarn Österreich und Ungarn teilen.

Eine kurvige Straße malt sich im Osten durch die Wiesen, an Salzlacken und Schilf vorbei. Bis vor kurzem führte sie in der kleinen Gemeinde Fertőrákos auf der ungarischen Seite der Grenze noch zu einem heruntergekommenen Strandbad, ein paar Schilfhütten und einigen Bootsanlegeplätzen. Heute ist die holprige Straße für Besucherinnen gesperrt, ein Wächter sitzt in einem verspiegelten Häuschen und öffnet im Minutentakt die Schranke, um Lastwagen und Traktoren durchzulassen, die Material zu einer Baustelle fahren, vor der Umweltschützer seit Monaten warnen.

Noch dieses Jahr soll der heruntergekommene Yachthafen nicht nur saniert, sondern durch ein Luxus-Ferienresort ersetzt werden. Geplant sind Stellplätze für rund 800 Boote, ein Vier-Sterne-Hotel, ein kleineres Motel, ein Campingplatz und Sportplätze. Dafür soll eine Fläche von 136 Hektar asphaltiert werden.

Versiegelung, Überbauung und die Folgen des Klimawandels machen auch vor einem Weltkulturerbe nicht halt. Ganz neu sind große Bauprojekte, die Land am Neusiedler See versiegeln, nicht. Seit mittlerweile 100 Jahren teilt die Staatsgrenze zwischen Österreich und Ungarn den Neusiedler See und die Landschaft rundherum in zwei Teile. Auf der ungarischen Seite liegen zehn Gemeinden im Gebiet des Welterbes, auf der österreichischen doppelt so viele. Lange waren große Tourismusprojekte jedoch der österreichischen Seite vorbehalten. In Oggau beispielsweise gibt es einen Villenpark auf einer Fläche von rund 63.000 Quadratmetern, in Breitenbrunn wurde das Seebad durch eine Marina, Lodges und ein Wassersportzentrum aufgestockt, und in Neusiedl gibt es 23 private Seehäuser und ein Seehotel.

Kanal als Lösung – oder Todesstoß?

Ob die Maschinerie von Tourismus und Landwirtschaft, Weinbau und Fischerei am Laufen bleibt, hängt davon ab, ob der Seewinkel ausreichend mit Wasser versorgt ist. Die Region um den Neusiedler See ist vom Wassersport- und Sommertourismus und damit vom Seewasserspiegel abhängig. Und der geht seit Jahren zurück. Den Tourismus retten soll nun ein Kanal, der Wasser aus der ungarischen Moson-Donau in den See leiten und dafür sorgen soll, einen gewissen Wasserspiegel zu halten. Gleichzeitig soll der Kanal das Wasser aus Ungarn über den gesamten Seewinkel verteilen und so auch die umliegende Region versorgen.

Christian Sailer leitet das Referat für Wasserwirtschaft im Burgenland. Er sagt, durch den Kanal könne man der drohenden Austrocknung des Sees entgegenwirken und das sensible Ökosystem Neusiedler See langfristig absichern. Ende Jänner 2022 trieb ein Sturm das Wasser aus der Ruster Bucht des Sees und legte den grauen, schlammigen Boden frei, Boote steckten fest, Stege führten ins Leere. In einem Bericht über diese Ebbe schrieb Sailer: »Die Bilder dazu gingen durch die Medien und führten dramatisch vor Augen, dass es um den Wasserstand des Sees nicht gut bestellt ist und die Nutzung des Sees für den Tourismus in Gefahr ist.« Im Kanal, der Wasser aus der Donau in den See leiten soll, sieht er eine Lösung. Das Land Burgenland hat dafür eine Machbarkeitsstudie anfertigen lassen, mit dem Ziel, zu klären, wie eine nachhaltige Grundwasserbewirtschaftung des Seewinkels aussehen könnte. Laut Sailer kann Wasser aus der Donau in begrenzten Mengen in den Neusiedler See geleitet werden, ohne das wertvolle Ökosystem zu gefährden.

Mithilfe von Folien auf seinen Feldern spart Biobauer Oliver Michlitz Wasser. (Foto: Lisa Kreutzer)

Ganz anders sehen das Naturschutz- und Umweltorganisationen wie der WWF: »Die Ökologie des westlichsten Steppensees Europas würde durch eine Wasserzufuhr aus der Donau oder der Raab so tiefgreifend verändert, dass sogar der weitere Fortbestand dieses einzigartigen Naturjuwels gefährdet werde«, schreibt Bernhard Kohler von WWF Österreich. »Die Zufuhr von Donau- oder Raabwasser wird den Chemismus des Sees radikal verändern. Der Neusiedler See ist ein leicht salzhaltiger Soda-See und dieser Salzgehalt hält seine bekannte, graue Trübung aufrecht.« Würde man Flusswasser in den See leiten, sänken die Trübstoffe plötzlich ab und klärten das Wasser. »Nun sitzen aber auf den Milliarden Trübe-Partikeln, die sich im Seewasser in Schwebe befinden, winzige Bakterien-Rasen, die fast alles organische Material zersetzen, ehe es den Seeboden erreichen kann, sodass sich dort nur wenig Schlamm ansammelt. Wenn die Trübe durch die Wasserzuleitung plötzlich ausfällt, drohen massive Algenblüten und die Verschlammung und Verlandung des Sees würde noch rascher fortschreiten. Eine künstliche Wasserzufuhr würde dem See letztlich den Todesstoß versetzen.«

Der Streit um den Zustand des Sees und den Nationalpark loderte Ende des vergangenen Jahres erneut auf, im Mittelpunkt das Bauprojekt in Fertőrákos und die Pläne für den Kanal. Ein solcher stand schon in der Trockenphase im Jahr 2003 zur Diskussion. Herbert Formayer, Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien, war damals an einer Studie über die Auswirkungen des Klimawandels auf Wasserstände in Österreich beteiligt. Letztendlich wurden die Pläne nicht realisiert. »Ab 2005 kamen dann ein paar feuchte Jahre, es gab keine finale Entscheidung«, sagt Formayer. Doch in den letzten Jahren habe sich die Lage geändert: »Heute gibt es auch Interesse vonseiten Ungarns. Da der Tourismus bei Sopron ausgebaut wird, gibt es natürlich noch mehr Interesse, den Wasserstand zu halten.« Sollte der Kanal umgesetzt werden, sei das eine Entscheidung für den Tourismus und die Landwirtschaft, aber schade ganz klar dem Ökosystem des Sees.

Fluch und Segen Welterbe

Guter Wille bringt nicht immer nur Gutes, das hat Christian Schuhböck in den letzten Jahren zu spüren bekommen. In seinem Büro im 16. Wiener Gemeindebezirk steht Schuhböck vor einer gluckernden Kaffeemaschine. In zwei große Tassen rührt er Milchpulver ein und bringt sie an den hellen Arbeitstisch. Bis zum Fall des Eisernen Vorhangs hätten die politischen Systeme den See und die Böden streng getrennt, erzählt er. Drei Jahre später wurde der grenzüberschreitende Nationalpark Neusiedler See – Seewinkel bzw. Fertő-Hanság Nemzeti Park gegründet. Den Status UNESCO-Welterbe hält der Nationalpark seit mittlerweile 21 Jahren. Dafür engagierte sich Schuhböck jahrelang. Sein Kampf war erfolgreich, doch der Erfolg erscheint ihm heute bitter: Ein UNESCO-Welterbe kann ein Segen sein für die Region, als Schutzschild und als Status. Aber auch ein Fluch. Denn wenn es Massentourismus bringt, kann dieser zu einer Bedrohung für ein Welterbe werden. Schuhböck sagt: »Es ist eine verdammte Gratwanderung.« Werde der Neusiedler See weiter so touristisch verbaut, müsse die UNESCO handeln, um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren. Sie müsse den Neusiedler See auf die Liste der gefährdeten Welterbestätten setzen. Auf dieser Liste standen im vergangenen Jahr 52 Stätten weltweit. Wenn der Neusiedler See auf die Liste käme, hätte Österreich schon zwei Eintragungen. Denn seit 2017 sieht die UNESCO das historische Zentrum Wiens als gefährdet an, wegen eines geplanten über 60 Meter hohen Hochhauses am Heumarkt. Ein wenig schmeichelhafter Zustand, denn mehr als einen Eintrag auf der Roten Liste der UNESCO haben sonst nur von Krieg und Krisen gebeutelte Länder: Libyen, Kongo, Jemen, Mali und Syrien.

Für Schuhböck ist klar, dass alles dafür getan werden sollte, um den Neusiedler See vor weiterer Verbauung und Eingriffen in den natürlichen Haushalt zu schützen. Sowohl Tourismusprojekte in Österreich und Ungarn wie auch die Dotierung des leicht salzwasserhaltigen Sees mit reinem Süßwasser aus der Donau müssten verhindert werden, sagt Schuhböck. Andernfalls könne der Neusiedler See als wichtiges Biotop der Region und äußerst wertvoller Bestandteil dieser Steppenlandschaft – vor allem für die Vogelwelt – nicht erhalten werden.

Am Neusiedler See wird ein grundlegendes Problem diskutiert. Dabei geht es nicht nur um die Zukunft des Sees und die Salzlacken in der Gegend, sondern auch um die Zukunft des Wassers in Österreich. Bisher stammte fast das gesamte Trinkwasser in Österreich aus dem Grundwasser. Doch aufgrund des Klimawandels, der steigenden Temperaturen, der Wasserverdunstung und der landwirtschaftlichen und industriellen Entnahme wird die Nutzung von Grundwasser künftig auch in Österreich nicht mehr konfliktfrei vonstattengehen. Laut einer Studie des Umweltministeriums treffen die Auswirkungen des Klimawandels die österreichischen Grundwasserressourcen drastisch: Bis zum Jahr 2050 könnten sie um knapp ein Viertel abnehmen, während sich der Wasserbedarf der Landwirtschaft bis 2050 beinahe verdoppeln dürfte.

Besonders rasant nahm der Grundwasserstand zwischen dem östlichen Ufer der Neusiedler Sees und dem Hanság, der Moorlandschaft an der österreich-ungarischen Grenze, ab. Die Salzlacken auf diesem Gebiet bilden das größte Salzgebiet auf dem europäischen Binnenland, sie sind ein fast einzigartiger Lebensraum für Krebse oder Hüpferlinge. Die wiederum ziehen Vögel an, die im seichten Gewässer nach Beute fischen. Damit die Lacken überleben, ist ein hoher Grundwasserspiegel besonders wichtig, denn nur wenn das Grundwasser mit dem Boden der Lacke in Kontakt ist, können die Salze nach oben transportiert werden. Wenn es heißer wird, verdampft das Wasser, die Lacken trocknen aus. Zurück bleiben große helle Flächen, die sich wieder mit Wasser füllen, wenn es kühler wird. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat das Gebiet rund 80 Prozent seiner Grundwasserflächen verloren. Gründe für die Absenkung des Grundwasserspiegels sind unter anderem Entwässerungsgräben, Siedlungsbau und die sich intensivierende Landwirtschaft.

Verhindern möchte das auch Harald Grabenhofer. Der 49-Jährige arbeitet seit über 20 Jahren im Nationalpark. In Trekkingsandalen und mit einem Fernglas um den Hals stapft er Richtung Aussichtspunkt, ein Holzverschlag, um Arten wie Kiebitze, Rohrweihen oder Sumpfohreulen zu beobachten. Es riecht süßlich, fliegende Pollen trüben die Luft. Vögel nisten am Horizont, mit dem Fernglas gerade so erkennbar. Grabenhofer kennt den Neusiedler See und die Natur rundherum wie seine Westentasche. Seit drei Generationen bewirtschaftet seine Familie einen Hof im östlichen Seewinkel.

»Die Bauern machen das, was das System bereithält«, sagt Harald Grabenhofer. (Foto: Lisa Kreutzer)

»Das Problem ist nicht, dass wir zu wenig Niederschlag hätten«, sagt Grabenhofer, »sondern, dass das Grundwasser immer weiter abnimmt.« Das hat ihm zufolge zwei Gründe: Zum einen wurden seit den achtziger Jahren Entwässerungssysteme, also Kanäle und Gräben, gebaut, um Überschwemmungen zu verhindern. Zum anderen wird seit Jahrzehnten Grundwasser für die Bewässerung der Landwirtschaft verwendet. »Die Bauern machen eben das, was das System für sie bereithält«, sagt Grabenhofer. Wie viel Grundwasser jährlich tatsächlich durch die Landwirtschaft entnommen wird, das könne er nicht nachprüfen. An den Brunnen sind keine Wasseruhren angebracht. Die Grenzpegel, wie niedrig der Grundwasserspiegel rund um den Neusiedler See sinken darf, müssten heraufgesetzt werden. »Das ist eine politische Entscheidung.« Und die klassischen Sorten in der Gegend, Mais und Kartoffeln, bräuchten zu viel Wasser. Wein und Lavendel wären gut, sagt Grabhofer. »Es bräuchte eine grundsätzliche Umstellung der Landwirtschaft, angepasst an ein in Zukunft mediterraneres Klima.«

Unfreie Bauern, reiche Unternehmer

Messgeräte, um die Grundwasserentnahme zu kontrollieren, wären für Oliver Michlitz ein wichtiger und nachvollziehbarer Schritt. Der 26-jährige Biobauer aus dem Seewinkel steht in Shorts und Vans auf dem trockenen Erdboden seines Feldes. Hunderte Meter lange Streifen abbaubarer Plastikfolie liegen auf seinem Kartoffelacker. Durch einen Schlauch mit Löchern kann zielgenau gegossen werden. Die Folie verhindert, dass das Wasser gleich wieder verdunstet. Auch von der Idee, die Landwirtschaft im Seewinkel auf Wein- und Lavendelanbau umzustellen, hält Michlits nicht nichts. Aber so eine Umstellung sei aufwendig und teuer, und überhaupt: Man produziere natürlich auf Nachfrage. Michlits liefert seine Ernte, neben Kartoffeln auch Ingwer, an Supermärkte wie Billa oder Spar.

Die Bauern seien in einer verzwickten Situation, sagt auch Forscher Grabenhofer. »Das System ist schon lang von seinen natürlichen Bedingungen entkoppelt. Der Mais landet nicht in unserem Essen, sondern dient zur Saatgutzucht, und die Kartoffeln landen bei McDonald’s.« Eine große Zahl an Bauern rund um den Neusiedler See hat Verträge mit riesigen Firmen. Das lässt sich nicht von heute auf morgen umstellen. Grabenhofer sagt: »Das ist keine freie Bauernschaft mehr.«

Dass der Neusiedler See austrocknet, ist nichts Neues. Der schlammige Boden kam zum letzten Mal vor rund 150 Jahren zum Vorschein, als der See komplett austrocknete. Der Wind wirbelte den trockenen Schlamm nach oben, verunreinigte die Luft und machte die Gegend fast unbewohnbar. Damals war eine lange Dürre der Grund. Später war der See drei Meter tief, das Umland überschwemmt. In Zukunft werden der Klimawandel und die immer intensivere wirtschaftliche Nutzung der Gegend die Austrocknung noch begünstigen, weswegen eben das Wasser aus der Donau Abhilfe schaffen soll. Ganz besonders interessiert an einem dauerhaft hohen Wasserstand im Neusiedler See sind aber jene, die am Tourismus in der Region Geld verdienen. So hängen der Bau in Fertőrákos und der Bau des Kanals eng zusammen, vermutet auch Zoltan Kun. Der ungarische Wildnisbeauftragte der Zoologischen Gesellschaft in Frankfurt hat eine Beschwerde gegen den Bau des Kanals bei der EU-Kommission eingebracht. Ohne den Kanal werde eine so große Tourismusanlage in Zukunft kaum sinnvoll sein, hofft Kun. Einer, der seiner Meinung nach ein besonders großes Interesse daran habe, dass sowohl Kanal als auch das Tourismusprojekt in Fertörákos gebaut werden, ist Lőrinc Mészáros. Ein meistens freundlich lächelnder Mittfünfziger, der auf vielen Bildern mit dem ungarischen Premier Viktor Orbán zu sehen ist. Die beiden mächtigen Männer kennen sich seit ihrer Jugend, sollen alte Schulfreunde sein. Der Orbán-Vertraute gilt als reichster Mensch Ungarns. »Mészáros’ Interesse am Bau des Kanals ist doppelt motiviert«, sagt Kun. Ein Bauunternehmen, an dem Mészáros beteiligt ist, hat den Zuschlag für ein Tourismusprojekt in Sopron erhalten. Die Baugenehmigung für den Kanal wiederum ging an das landwirtschaftliche Unternehmen Lajta-Hanság Zrt, an dem er ebenfalls Anteile hält. Die Firma betreibt eine rund 13.000 Quadratkilometer große landwirtschaftliche Fläche. Die Bewässerung dieser sei auch ein Grund für den sinkenden Grundwasserspiegel. Kun sagt: »Der Mensch nimmt sich die Grundlage für seine Lebensgrundlage.«

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