Gescheiterte Gruppentherapie

von Benjamin Opratko

408 wörter
~2 minuten
Gescheiterte Gruppentherapie
Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold (Hrsg.)
Frenemies
Antisemitismus, Rassismus und ihre Kritiker*innen
Verbrecher Verlag, 2022, 350 Seiten
EUR 20,60 (AT), EUR 20,00 (DE), CHF 27,90 (CH)

Auf Deutsch wird beherzt darum gestritten, was Antisemitismus ist und wo seine Grenzen verlaufen. Bühnen des Konflikts sind häufig Kulturinstitutionen, etwa die Ruhrtriennale 2020 oder die Documenta fifteen. Dabei rücken bemerkenswerterweise nicht so sehr die Heimatgeschichte des Judenhasses und die Kontinuitäten des deutschen Antisemitismus in den Blick, sondern in erster Linie der vermeintliche oder tatsächliche Antisemitismus der anderen.

Die Herausgeberinnen und Herausgeber des Sammelbandes Frenemies lesen diese Konstellation als eine, in der sich Kritikerinnen und Kritiker des Antisemitismus und solche des Rassismus in unnötig verhärteten Fronten gegenüberstünden. Sie hätten ja eigentlich viel gemeinsam, warum nur, so fragen Meron Mendel, Saba-Nur Cheema und Sina Arnold in der Einleitung, »machen sie sich das Leben so schwer?« Das Buch präsentiert sich – gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz – als eine Art gruppentherapeutische Familienaufstellung. 54 Autorinnen und Autoren kommen in nicht weniger als 48 Beiträgen auf rund 300 Seiten zu Wort. Jenen von Kerem Schamberger und Ramsis Kilani übrigens schmissen die Herausgeber kurz vor Veröffentlichung aus dem Buch, was zu einem Eklat führte.

Kaum ein Beitrag in Frenemies ist länger als zehn Druckseiten, oft sind es weniger als die Hälfte. So werden Frequently Asked Questions abgefrühstückt: »Wie hängt der Kapitalismus mit Rassismus zusammen?« Dreieinhalb Seiten. »Wie hängt Antisemitismus mit Kapitalismus zusammen?« Knapp vier. Und so weiter. Sollte sich Theodor W. Adorno in einer personalisierten Hölle befinden, so in etwa sähe sie aus. Kaum ein Argument wird vertieft, Meinungen ausgestellt, Begründungen weichen Anekdoten. Wo auf Forschung rekurriert wird, steht oft daneben ein Beitrag, der das Gegenteil behauptet. Ein Beispiel: Adi Hagin schreibt, dass die Diskriminierung palästinensischer Bürgerinnen und Bürger Israels am »geringen Prozentsatz palästinensischer Studierender an Hochschulen« abzulesen sei. Zehn Seiten später will Gunnar Meyer die Behauptung, dass der »deutliche sozioökonomische Gap zwischen jüdischen und palästinensischen Israelis« kontinuierlich abnehme, damit belegen, dass »die Zahl palästinensischer Student*innen und Doktorand*innen (…) sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt« habe. Beides mag stimmen. Aber ordentliche Quellenangaben gibt es ebenso wenig wie konkrete Zahlen oder wechselseitige inhaltliche Bezugnahmen in diesem als Buch verkleideten Talkshowformat.

In der Einleitung nennen die Herausgeber ihr eigenes Buch einen »Fehler«. Anstatt einen »respektvollen und politischen Streitraum zu schaffen«, sei das Projekt selbst in die »Grabenkämpfe« hineingezogen worden. Zumindest dieser Einschätzung ist zuzustimmen. Bloß, wo der Fehler liegt, darüber ließe sich gehaltvoll streiten.

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