Ein Kündigungsschreiben ist ein gutes Beispiel für einen performativen Sprechakt – also eine Handlung, die durch Sprache nicht bloß geäußert, sondern gleich vollzogen wird. Sprache repräsentiert nicht nur, sie tut etwas, schafft Tatsachen. Elon Musk hat nach seiner nicht gar so freundlichen Übernahme von Twitter umgehend gut die Hälfte der Belegschaft entlassen, von der Coderin über den PR-Experten bis zur Managerin, von jetzt auf gleich. Darunter einige Leute, die für das Unternehmen nach der Logik maximalen Eigeninteresses eigentlich nicht verzichtbar wären. In Rekordzeit hat Musk durch solch erratische Entscheidungen Twitter einen Exodus von Userinnen wie von Werbekunden beschert.
Per E-Mail wandte Musk sich an die gesamte Belegschaft, wie um alle Zweifel auszuräumen, welcher Wind bei Twitter fortan weht. Bemerkenswert ist an dem Schriftstück sicherlich alles, aber schon ein genauerer Blick auf die Sprache verrät viel darüber, worum es der neuen Unternehmensführung geht und worum nicht. Einigermaßen erstaunlich ist, dass die Mail, wie sie auf CNBC.com im Wortlaut nachzulesen ist, auf eine Anrede verzichtet. Stattdessen geht’s mit einem semantisch fragwürdigen Satz unverzüglich ans Eingemachte: »Sorry that this is my first email to the whole company but there is no way to sugarcoat the message.« Zu Deutsch etwa: »Entschuldigt, dass das meine erste E-Mail ans gesamte Unternehmen ist, aber es gibt keine Möglichkeit, die Nachricht zu beschönigen.« Anschließend stimmt Musk die Belegschaft auf harte Zeiten ein, die Zeichen stehen auf Krise. Mit einem kleinen Kreis eingeschworener Vertrauter trifft er seine Entscheidungen nun in einem wirklich so titulierten »war room«. Wer Deleuzes und Guattaris Tausend Plateaus gelesen hat, erinnert sich vielleicht an die Vorstellung des globalen Kapitalismus als Kriegsmaschine.
Dahinter stecken nicht bloß Blödheit und destruktiver Narzissmus eines Einzelnen, sondern ein Ethos, das bereits in Mark Zuckerbergs langjährigem internem Firmenmotto für Facebook sloganifiziert ist, welches auch auf jeden Tesla passen würde: »Move fast and break things.« Neue Regeln werden dementsprechend sofort in Kraft gesetzt, Zeit zum Diskutieren oder auch nur dafür, sich an neue Arbeitsbedingungen zu gewöhnen, das passt so wenig zur akzelerationistischen Unternehmensphilosophie, dass jedwede Forderung danach beinah absurd wirken würde. Dass die verbleibenden Angestellten nicht mehr von zu Hause arbeiten dürfen, sondern mindestens (!) vierzig Stunden pro Woche im Büro verbringen müssen, wurde ihnen lapidar am Ende der besagten Mail mitgeteilt – und gültig war die neue Regel, na klar, ab dem nächsten Tag. Resturlaub? Auch von heut auf morgen passé. Noch so ein performativer Sprechakt, der vor vollendete Tatsachen stellt.
Unter Hashtags wie #OneTeam und #LoveWhereYouWorked teilten vor allem ehemalige Angestellte ihre Erfahrungen auf Twitter, aber auch ihnen solidarisch zugewandte Kolleginnen und Kollegen, die vorerst einmal im Unternehmen bleiben. Viele sind wie im Schock, traurig. Auch wütend. Nur konsequent, dass sie sich in genau dem digitalen Raum organisieren, den sie mitgestaltet haben. Seit Musks Einstand als chaosstiftender Horrorchef herrscht in vielen Twitter-Blasen die reinste Doomsday-Stimmung. In der antiken Mythologie stand das Chaos indes nicht am Ende von etwas, sondern am Anfang. Mit Glück ist es der Anfang vom Ende einer Zeit, in der Chefs per E-Mail Massenkündigungen vollstrecken und sich einreden können, das könnte gutgehen.
Gänzlich andere Neuigkeiten von einem gänzlich anderen Unternehmen: Mit dieser Ausgabe begrüßen wir Sonja Luksik und Kathrin Niedermoser neu in der Redaktion. Außerdem bekommt das TAGEBUCH mit jedem neuen Jahrgang eine neue visuelle Note; die kommenden zehn Hefte wird Ūla Šveikauskaitė illustrieren. Die Litauerin lebt und arbeitet seit längerem in Wien, ihre Arbeiten waren unter anderem im Guardian oder im Wall Street Journal zu sehen. Šveikauskaitė löst Aelfleda Clackson als Jahrgangsillustratorin ab, der wir kräftig danken und alles Gute wünschen wollen! Meine persönliche Lieblingsillustration im letzten Jahr war übrigens die zu einem Kommentar über arbeitende Tiere; sie zeigt ein entspannt dösendes Pferd unterm Sonnenschirm. Eine gute Erinnerung daran, dass es sich um jeden Urlaubstag zu kämpfen lohnt.
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