Menchú mit dem Grafiker Carlos Toledo bei der Entwicklungspolititischen Hochschulwoche, Graz, Mai 1990.

Widerstandskämpferin im globalen Kalten Krieg

von Berthold Molden

Vor 30 Jahren, am 10. Dezember 1992, erhielt Rigoberta Menchú den Friedensnobelpreis für ihren Einsatz für indigene Rechte in Guatemala.


831 wörter
~4 minuten

Es war eine große Inszenierung der Selbstkritik des globalen Nordens, als am 10. Dezember 1992 der guatemaltekischen Maya-Aktivistin Rigoberta Menchú Tum der Friedensnobelpreis verliehen wurde. Menchú war damals die jüngste und erste indigene Empfängerin des Preises. Sie wurde damit zum Symbol eines europäischen historischen Gewissens zum 500. Jahrestag der damals noch so genannten „Entdeckung Amerikas“. Der Kontrast zwischen dem Festakt mit zwei königlichen Familien und der Huldigung durch kerzentragende Europäer unter dem Balkon des Grand Hotels in Oslo einerseits und Menchús bergigem Herkunftsdorf Laj Chimel andererseits hätte extremer nicht sein können. Komfort und Privileg versus krasse Armut und Ausbeutung. Der noble Gestus historischer Selbstkritik änderte jedenfalls nichts am postkolonialen Nord-Süd-Verhältnis.

Intersektionaler Widerstand

Erste Bekanntheit hatte Menchú erlangt, als sie zur Sprecherin einer militärisch in die Defensive geratenen Widerstandsbewegung gegen die guatemaltekische Militärdiktatur wurde und Kontakte mit internationalen Solidaritätsbewegungen aufzubauen half. Der Weltruhm folgte, als die Soziologin Elisabeth Burgos-Debray sie 1982 in Paris interviewte und diese Gespräche zu einem vielübersetzten Bestseller wurden. Menchú stand für einen intersektionalen Widerstand (avant la lettre, sozusagen) gegen die fünfhundertjährige völkermordende Ausbeutung der Amerikas durch Europa und gegen den antikommunistischen Imperialismus des Nordens im globalen Kalten Krieg. In Guatemala nahm dieser Krieg die Form eines Genozids an, dem unter anderem Menchús Familie zum Opfer gefallen war.

Menchú erhielt den Preis für ihren Kampf für indigene Rechte. Dass sie der bäuerlichen Massengewerkschaft CUC angehörte, welche im Bürgerkrieg Ziel der antikommunistischen Mordpolitik der Regierung gewesen war und teilweise mit der Guerilla kooperierte, wurde später zum Anlass ihrer akademischen Delegitimierung. Menchús Bericht gehörte bald zu den postkolonialen Pflichttexten an Universitäten des Nordens, und das rief vor allem in den USA rechte Identitätskämpfer auf den Plan. Letztere störte an Menchú weniger ihre ethnische Identität und ihr Geschlecht als die Tatsache, dass sie sich mit radikalen linken Bewegungen eingelassen hatte. Aus heutiger Sicht scheint der Vorwurf, sie habe ihre autobiografischen Berichte „erweitert“, ein Vorwand für eine ideologisch motivierte Kampagne.

Ende des Kalten Krieges

Menchús Relevanz in der symbolischen Neukonstituierung der globalen Ordnung am Ende des Kalten Krieges kann und soll daher als Teil einer euro-amerikanischen Verstrickungsgeschichte gelesen werden, in der die „Zeitenwende von 1989“ eine bedeutende Rolle spielt. Die „Transition“ hin zum Ende der Militärdiktaturen Lateinamerikas wurde erst real, als mit dem Zusammenbruch des sowjetischen Machtbereichs die südlichen Revolutionsbewegungen ihre Bedrohlichkeit als „Avantgarden Moskaus“ verloren.

Dieser Zusammenhang wurde damals auch wahrgenommen, die Scheintransition als weitere Kontinuität zwischen Kolonialismus und Neokolonialismus analysiert. Ein Symposium in Frankfurt, an dem Menchú 1990 teilnahm, trug den Titel „Randvölker, Herrenvölker und das Ende des europäischen Sozialismus“. Heinz Dietrich, Soziologe und geistiger Waffenbruder Noam Chomskys, schrieb als einer der Veranstalter: „Dass die Eliten der Dritten Welt (…) die Prätorianergarden sind, die die honorablen Repräsentanten der Demokratie wie Bush, Thatcher, Kohl, Felipe González et al. seit fünfhundert Jahren den Völkern der Dritten Welt aufzwingen, wird von zeitgewendeten Intellektuellen des Kapitals verschwiegen.“

Menchú selbst schien in ihrer Nobel Lecture weniger skeptisch, was das Potenzial der Verschiebungen von 1989 betraf: „Diese Transformationen, deren endgültige Modalitäten sich noch nicht vorhersehen lassen, haben Freiräume gelassen, welche die Völker der Welt zu nützen wussten, um hervorzutreten, zu kämpfen und nationale Spielräume und internationale Anerkennung zu gewinnen.“

Manche dieser Räume konnten sich tatsächlich etablieren. So trug Menchús juristischer Kampf gegen die guatemaltekischen Staatsverbrecher entscheidend zur Entwicklung der „Transitional Justice“ bei. Doch deren zunächst hochgelobte Bedeutung für Demokratisierungsprozesse im postsozialistischen Osteuropa und im globalen Süden wird letzthin immer öfter kritisiert – und zwar als Vehikel eines neoliberalen Gesellschaftsbegriffs im Interesse des atlantischen Westens bzw. globalen Nordens. Transformation und Transition bedeuten hier bloße Elitenverschiebung, nicht Systemwechsel und Ursachenbekämpfung von sozialer Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung. Beseitigt wurde der Sozialismus, die Ausbeutung geht weiter. Analog zur Kapitalisierung von Che Guevaras Konterfei als Radical Chic auf T-Shirts fand sich Menchús Kampf in eine weichwaschende Demokratisierungsdoktrin integriert, welche jedweden revolutionären Anspruch durch das Primat der Versöhnung ersetzt.

Radikales Erinnern

Immerhin: Gegenstimmen zum hegemonialen Siegesruf vom „Ende der Geschichte“ als behaupteter Auflösung aller sozialen Widersprüche hat es auch in diesen drei Jahrzehnten stets geben. Und sie nehmen zu. In Lateinamerika will der Kampfruf für politischen Wandel und radikales Erinnern – „Weder vergessen noch verzeihen!“ – nicht verstummen. In Europa gerät der heilsbringende Weg der postsozialistischen Transformation unter wirtschaftsliberaler Ägide zunehmend unter Beschuss. Gewiss, das kapitalistische Weltsystem ist (noch) nicht gefallen, und wenn es zu Falle gebracht wird, dann vielleicht mehr durch ökologischen Überlebensdruck denn durch die revolutionäre Mobilisierung sozialer Bewegungen. Doch die Rebellion gegen die Leiterzählung der letzten Jahrzehnte brodelt weiter im Untergrund und wird Teil der Umbruchskonstellation sein, wie immer diese letztlich aussehen mag: 1989 in Süd und Nord nicht als kapitalistischer Endsieg, sondern als Sattelzeit in eine unbekannte Zukunft.

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