Der Club-of-Rome-Bericht über Die Grenzen des Wachstums von 1972 ist allgemein als erstes fundiertes Dokument bekannt, das vor der heute virulent gewordenen Klima- und Umweltkrise warnte. Weniger bekannt ist, dass sich bereits Anfang der 1970er-Jahre eine vergleichsweise breite, internationale Debatte über Wachstum und Ökologie entspann. Diese Debatte bewegte sich – in viel höherem Maße als die heutigen Auseinandersetzungen – in unmittelbarer Nachbarschaft zur Diskussion über »Entwicklung« und die Abschwächung der eklatanten Disparität zwischen Nord und Süd. Der 1927 geborene polnisch-französisch-brasilianische politische Ökonom Ignacy Sachs gehörte zu jenen, die diese drei Fragen zusammendachten. Anstoß nahm er dabei unter anderem an der bevölkerungspolitischen Schlagseite des Club-of-Rome-Berichts. Sachs stimmte der Kritik an Wachstumslogik und -orientierung zu, verteidigte aber (für heutige Ohren durchaus überemphatisch) die »Notwendigkeit« von Wachstum im globalen Süden. Dabei präzisierte er: Wachstum ist in armen Ländern möglich und notwendig, aber nur, wenn dies mit einer radikal egalitaristischen Verteilungspolitik einhergeht. Eine Unterscheidung jedenfalls zwischen je nach Kontext abwägender »Wachstumskritik« und verallgemeinerter »Wachstumsablehnung« scheint auch für die aktuellen Debatten ein wertvoller Anstoß.
Ignacy Sachs
Umwelt und Zivilisation
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Die Herstellung des Produkts ohne jede Rücksicht auf seinen Gebrauchswert (d. h. auf die Befriedigung der positiven menschlichen Bedürfnisse) ist die logische Folge des kapitalistisch geführten Unternehmens. Es wird Anti-Luftverschmutzungsmittel herstellen, so wie es heute Kanonen und Pornographie produziert, vorausgesetzt, daß es Abnehmer für seine Waren findet. Alle Überlegungen gehen hier vom Tauschwert aus [...].
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Kommen wir aber auf das Modell des Klubs von Rom zurück. Die Bevölkerungskontrolle nimmt einen Vorzugsplatz in der Sammlung der vorgeschlagenen Maßnahmen ein. [...]
Die Manipulierung der Einwohnerzahl der Dritten Welt, in der nur sehr schwache Konsumenten der seltenen, nicht erneuerbaren Rohstoffe leben, hätte eine sehr mäßige Wirkung auf die Bilanz dieser Quellen. [...] Man könnte deshalb den Verbrauch der seltenen Materialien viel dramatischer einschränken, wenn man sich an die dem Konsumstil inhärente Verschwendung hielte statt an die Zahl der Konsumenten.
Der einzig gangbare Weg, der der Dritten Welt eine Politik des beschränkten Bevölkerungswachstums aufzwingen würde [...], führt über ein beschleunigtes Wachstum der armen Länder, das verbunden ist mit einer radikalen Umverteilung der Einkünfte zugunsten der enterbten Bevölkerung.
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Das bedeutet keineswegs eine Ablehnung der Problematik der Umwelt. Was wir ablehnen, ist die intellektuell allzu leichte Wahl zwischen Nicht-Wachstum und einem – unter den gegebenen Umständen und dem Gebrauch, der davon gemacht wird – grundlegend schlechtem Wachstum.
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Die Strategie der »Zegisten« [Anhänger der »Zero Growth«-Idee, Anm.] kann nur in einem streng egalitären Rahmen konzipiert werden, was ihre Anhänger theoretisch zugeben, ohne sich jedoch in der Praxis mit den Modalitäten einer Umverteilung der Einkünfte im planetaren Maßstab aufzuhalten. [...] [Hier] darf man das schwierige Problem der Neuverteilung des bereits bestehenden Produktionsapparats und der Infrastruktur nicht aus den Augen verlieren; man wird die Wohnungsnot in Kalkutta nicht beheben, wenn man die Zweitwohnungen an der Côte d’Azur beschlagnahmt.
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