Im alten Europa gilt zuweilen immer noch der Scherz, dass uns viele historische Zeugnisse unbekannt geblieben wären, hätten nicht japanische Reisende mit der Kamera die Ereignisse festgehalten. Damit soll wohl die freundlich auftretende Neugier japanischer Reisegruppen karikiert werden, die in unseren großen Städten zu beobachten sind, wie sie sich vor bedeutenden Kulturdenkmalen zum gemeinsamen Foto zusammenstellen.
Vermutlich hätte die Weltgeschichte tatsächlich von dem heute nach hundert Jahren wieder ins Gedächtnis zu rufenden Ereignis kaum Notiz nehmen können, hätte nicht der an seiner marxistisch-revolutionären Weiterbildung arbeitende Japaner Kazuo Fukumoto auf seiner Europareise zu Beginn der 1920er-Jahre auch seinen Fotoapparat ins Gepäck genommen. Als Erstes reiste er 1922 nach London zum Grab des Meisters selbst und nahm ihn auf die Platte, es vermittelte eine Art Nähegefühl zum hochverehrten Theoretiker der proletarischen Revolution. Doch das marxistische Milieu in der Weltstadt war weniger aufregend, als er sich erhofft hatte, und so richtete er den Blick ins unruhige Deutschland, stieß auf die einführende Broschüre Kernpunkte der materialistischen Geschichtsauffassung und nahm zu dessen Autor Karl Korsch in Jena Kontakt auf, der ihn prompt zu sich einlud. Er hörte seine Schulungsvorträge in proletarischen Versammlungen und akademisch elaborierte Vorlesungen an der Universität. Fukumoto und Korsch freundeten sich an und feierten gar das für beide eher befremdliche Weihnachtsfest 1922 zusammen. Für Korsch jedenfalls bestand kein Zweifel: Der eben erst gewonnene japanische Genosse musste zur Marxistischen Arbeitswoche eingeladen werden, die vom 20. Mai, dem Pfingstsonntag des Jahres 1923 an in Geraberg bei Arnstadt (Thüringen) stattfand.
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