Das Pulver der schwarzen Henne bewahrt vor dem bösen Blick. Kaufen lässt es sich auf vielen Märkten überall in Mexiko neben anderen Pulvern in kleinen Sackerln, die vor Unglück bewahren, die Gesundheit schützen oder Reichtum bescheren sollen. Als die Künstlerinnen Maris Bustamante, Mónica Mayer und die schon bald wieder ausgestiegene Herminia Dosal 1983 ihr feministisches Kollektiv gründeten, benannten sie sich nach diesem Heil- und Wundermittel: Polvo de Gallina Negra (PGN).
Eine treffende Wahl, denn der Name ist Programm: Die Künstlerinnen betrachteten ihre Arbeit als Arbeit am Blick, man könnte auch sagen, sie intervenierten in den Kampf um Sichtweisen. Dies geschah auf zwei Ebenen: Zum einen ging es darum, die soziale Welt als von Blickregimes durchzogen und konstituiert auszuweisen. Diese Blickregimes prägen, was und wie gesehen wird. Unter den Bedingungen einer auch geschlechtlich formierten, sozialen und kulturellen Ungleichheit ist das Blickregime ein patriarchales. Es stützt männliche Herrschaft. In diesem Sinne hatten die feministischen Kunsthistorikerinnen Rozsika Parker und Griselda Pollock in Framing Feminism (1987) noch Ende der 1980er-Jahre betont, dass die Dominanz des Blicks in einer geschlechtlich geteilten Gesellschaft die maskuline Position absichert und die weibliche als passives Objekt setzt. Der böse, das heißt patriarchale Blick soll nicht nur benannt, er soll auch bekämpft werden. Ihm galt es zweitens also andere, nämlich antisexistische Sichtweisen entgegenzusetzen, um das herrschende, patriarchale Blickregime anzugreifen und zu dekonstruieren.
Mit diesem doppelten Anspruch standen PGN selbstverständlich nicht allein da. Er war, wie Parker und Pollock gezeigt haben, zentrales Anliegen der feministisch inspirierten Kunst der 1970er- und 1980er-Jahre. Im Kontext dieser an feministischer Theorie geschulten internationalen Kunstpraxis ist auch PGN zu verorten. Daneben ist es auch das spezifisch mexikanische Kunstumfeld, in dem und aus dem heraus sich das feministische Kollektiv entwickelt hat.
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