Mitte März dieses Jahres verstarb, von der medialen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, der Historiker Fritz Keller. Ein Verlust, der umso schmerzlicher ist, als er zu den wenigen »Bewegungshistorikern« in Österreich gehörte: Weder war er in einem Parteiumfeld verwurzelt, noch hatte er eine akademische Position inne. Sein Einkommen bestritt er durch einen (buchstäblichen) Brotberuf als behördlicher Lebensmittelkontrolleur. Das machte ihn kaum weniger produktiv, ein Dutzend Bücher zur Geschichte der Linken und sozialer Bewegungen stammen von ihm – etwa zu »1968« oder zur Geschichte der Algerien-Solidarität in Österreich. Politisch kam er ursprünglich aus dem Verband Sozialistischer Mittelschüler, dessen linke Positionen 1973 zur Trennung von der Mutterpartei SPÖ geführt hatten. Danach bewegte sich Keller im Umfeld des Trotzkismus (genauer, seiner mandelistischen Variante). Immer wieder schrieb er für das Wiener Tagebuch. So auch 1973, als über mehrere Ausgaben verschiedene Autoren die Frage debattierten: »Haben Linke in der SPÖ eine Chance?« Der damals 23-jährige Fritz Keller machte deutlich, dass für ihn eine wirkungsvolle linke politische Formation nur außerhalb aufgebaut werden könne. Auch wenn seine Intervention einige vorhersehbare rhetorische Deklinationen linker »Reformismuskritik« aufwies – angesichts der aktuellen, hoffnungsstarken Rührungen in der SPÖ durch die Kandidatur Andreas Bablers kann Kellers Position auch als Warnung und notwendiger Kontrapunkt gelten.
Fritz Keller
Perspektiven nur außerhalb der SPÖ
Die bisherige Diskussion im WTB [Wiener Tagebuch, Anm.] über die Chancen der Linken in der SPÖ ist verschlungene Wege gegangen, voll von Glauben bzw. enttäuschten Hoffnungen, aber ohne wissenschaftliche Bestandsaufnahme der Entwicklung und Funktion der SPÖ. Z. B.: Eduard März und Hugo Pepper haben unisono das Scheitern aller Versuche, die SP von innen heraus zu reformieren, konstatiert, ohne nach den in dieser Diskussion wesentlichen Gründen dafür zu fragen, gleichzeitig aber zur Mitarbeit, zur »Blutzufuhr« auffordernd.
Ich werde daher versuchen, stichworthaft Ansatzpunkte einer Analyse der SP zu liefern, indem ich die wichtigsten Marksteine auf dem Weg zum Status quo in Erinnerung rufe:
[...]
1945–73: [...] Nahtlos knüpft die SPÖ an die Vorstellungen des rechten Parteiflügels (Renner, Schärf, Helmer usw.) vor 1934 an. Durch die Koalitionswut geht die Führung restlos im bürgerlich-parlamentarischen System auf, wird Teil der herrschenden Klasse im staatsmonopolitischen Kapitalismus, die auch vom Anspruch her nicht mehr sozialistisch, sondern kleinbürgerlich-demokratisch ist.
[...]
Wer diese geschichtlichen Tendenzen vor Augen hat, der weiß, warum Linke in der SPÖ keine Chance gehabt haben und keine haben werden, außer man versteht unter Chance eine Neuauflage des Reformismus Bernsteinscher Provenienz unter dem Mäntelchen »systemtranszendierender Reformen« [...].
[...]
Zu dieser Einstellung muß meiner Ansicht jeder gelangen, der die Geschichte der SPÖ genau studiert, der einmal linke Politik in dieser Partei zu machen versucht hat; zu dieser Ansicht sich auch meine Freunde im VSM [Verband Sozialistischer Mittelschüler, Anm.] und ich gelangt, in einem langen, schmerzhaften Lernprozeß, unter ungewollter Mithilfe der SP-Apparatschiks. Wir haben daraus die Konsequenz gezogen und den Bruch mit der SP vorbereitet und in letzter Zeit auch organisatorisch vollzogen. Wir glauben, daß es eigentlich gar nicht die Aufgabe des WTB sein sollte, über die Möglichkeit linker Politik in der SP zu diskutieren – unser Beispiel beweist anschaulich die Unmöglichkeit.
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